• Spindel, Weberschiffchen und Nähnadel

    Grimms Märchen
    In einem gemütlichen kleinen Haus, nicht weit von einem großen Wald, lebte einst ein Mädchen ganz allein, denn seine Eltern waren gestorben. Aber bevor seine liebe Patin auch diese Welt verließ, schenkte sie dem Mädchen drei besondere Dinge: eine Spindel, ein Weberschiffchen und eine Nähnadel. "Meine Liebe," sagte sie, "mit diesen drei Dingen kannst du dir dein Glück erarbeiten. Sei fleißig, und alles wird gut."

    Das Mädchen nahm die Geschenke dankbar an und versprach, immer fleißig zu sein. Und das war es auch! Es spann mit der Spindel Flachs zu feinem Garn, webte mit dem Weberschiffchen daraus Tücher und nähte mit der Nadel Kleider.

    Eines Tages, als das Mädchen gerade am Spinnrad saß und spann, da hüpfte die Spindel plötzlich aus seiner Hand! "Hopp, hopp, hopp!", machte sie und sprang zur Tür hinaus. Das Mädchen schaute ihr verwundert nach. Und was sah es? Die Spindel zog einen glänzenden, goldenen Faden hinter sich her, der in der Sonne funkelte. "Oh!", rief das Mädchen, "das ist ja wunderbar!" Die Spindel aber hüpfte weiter und weiter, bis sie hinter einem Hügel verschwand und der Goldfaden zu Ende war.

    Nun hatte das Mädchen keinen Flachs mehr, aber einen Haufen goldenen Garns. Es nahm das Weberschiffchen zur Hand und begann, den Goldfaden zu weben. Kaum hatte es angefangen, da sprang auch das Weberschiffchen aus seiner Hand! "Zisch, zisch!", machte es und sauste durch die Stube, webte hierhin und dorthin. Und im Nu hatte es den allerschönsten Teppich gewebt, den man sich vorstellen kann – alles aus purem Gold! Dann, schwups, war auch das Weberschiffchen zur Tür hinaus und verschwunden.

    Das Mädchen stand da mit dem prächtigen Goldteppich. "Was für ein Glück!", dachte es. Es nahm die Nähnadel und wollte den Teppich zu Kissen und Decken vernähen. Doch kaum hatte es den ersten Stich gemacht, da sprang auch die Nadel davon! "Stich, stich, stich!", machte sie und tanzte über den Teppich. Sie nähte hier eine Naht, dort einen Saum, verzierte alles mit den feinsten Mustern, bis Kissen, Decken und sogar ein königliches Gewand fertig waren. Und dann, husch, war auch die Nadel verschwunden.

    Zur gleichen Zeit war ein junger Prinz im Wald auf der Jagd. Er war auf der Suche nach einer Braut, aber er wollte ein Mädchen, das zugleich das ärmste und das reichste sei. Als er nun so ritt, sah er plötzlich den goldenen Faden am Boden glitzern. "Was ist das denn?", dachte er und folgte dem Faden neugierig. Der Faden führte ihn zu dem goldenen Teppich, der wie ein Weg durch den Wald gewebt war. Und als er dem Teppich folgte, fand er die herrlich genähten goldenen Kissen, Decken und das königliche Gewand, die wie von Zauberhand dort lagen.

    Schließlich kam der Prinz zu dem kleinen Haus, aus dem all diese Wunder gekommen sein mussten. Er klopfte an, und das Mädchen öffnete. Es trug seine einfachen Kleider, aber es strahlte vor Fleiß und Freundlichkeit. Der Prinz sah die leere Spinnstube, den leeren Webstuhl und den leeren Nähtisch. Dann sah er das Mädchen und wusste: Sie war arm an Besitz, aber reich an Fleiß und Geschicklichkeit – genau die Richtige!

    Er fragte das Mädchen, ob es seine Frau werden wolle. Das Mädchen lächelte und sagte ja, denn der Prinz sah sehr freundlich aus. So feierten sie eine prächtige Hochzeit, und das Mädchen wurde Prinzessin. Die Spindel, das Weberschiffchen und die Nadel aber wurden im Schloss in einer goldenen Schatulle aufbewahrt und allen als Zeichen gezeigt, dass Fleiß und gute Arbeit zu großem Glück führen können. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

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