• Der Hase und der Igel

    Grimms Märchen
    An einem wunderschönen Sonntagmorgen, als die Vögel fröhlich zwitscherten und die Sonne warm vom Himmel lachte, machte ein kleiner Igel seinen Morgenspaziergang. Er summte ein Liedchen und freute sich des Lebens, als plötzlich ein Hase an ihm vorbeisauste.

    Der Hase, der sehr stolz auf seine langen, schnellen Beine war, blieb stehen und lachte. "Na, Igelchen", rief er, "was machst du denn hier so früh am Morgen mit deinen krummen Beinchen? Du kommst ja kaum vom Fleck!"

    Der Igel runzelte die Stirn. Das gefiel ihm gar nicht. "Meine Beine sind vielleicht kurz", antwortete er mutig, "aber ich wette, ich bin schneller als du!"

    Der Hase prustete vor Lachen. "Du? Schneller als ich? Das ist ja der beste Witz des Tages! Wollen wir wetten?"

    "Jawohl!", sagte der Igel. "Um eine Goldmünze und eine Flasche guten Branntwein!"

    "Abgemacht!", rief der Hase. "Wir laufen hier auf dem Acker um die Wette, in dieser langen Furche. Wer zuerst am anderen Ende ist, hat gewonnen."

    "Gut", sagte der Igel, "aber lass mich noch schnell nach Hause gehen und frühstücken. In einer halben Stunde bin ich wieder hier." Der Hase war einverstanden.

    Der Igel aber lief schnurstracks zu seiner Frau. "Frau Igel", sagte er, "zieh dich schnell an. Wir haben ein Wettrennen mit dem Hasen." Er erklärte ihr seinen schlauen Plan. Die Igelfrau sah ihrem Mann zum Verwechseln ähnlich.

    Als der Igel zurück zum Acker kam, wartete der Hase schon ungeduldig. "Kann es losgehen?", fragte er.
    "Ja", sagte der Igel. Sie stellten sich an den Anfang der Furche.
    "Eins, zwei, drei, LOS!", rief der Hase und rannte los, dass der Staub nur so aufwirbelte.

    Der Igel aber machte nur ein paar Schritte und versteckte sich dann. Am anderen Ende der Furche hatte sich inzwischen seine Frau postiert.

    Als der Hase pfeilschnell am Ende der Furche ankam, rief ihm die Igelfrau fröhlich entgegen: "Ich bin schon da!"

    Der Hase konnte es nicht glauben. "Das gibt's doch nicht!", stammelte er. "Du warst schneller? Das müssen wir nochmal machen!" Und er raste zurück zum Anfang der Furche.

    Dort aber stand der Igelmann und rief: "Ich bin schon da!"

    Der Hase war völlig verwirrt. "Wie machst du das nur?", keuchte er und rannte wieder los. Am anderen Ende: "Ich bin schon da!", rief die Igelfrau. Und so ging es hin und her. Der Hase rannte, was das Zeug hielt, aber jedes Mal, wenn er an einem Ende der Furche ankam, rief ihm schon ein Igel entgegen: "Ich bin schon da!"

    Der arme Hase wurde immer müder und müder. Beim dreiundsiebzigsten Mal fiel er mitten in der Furche erschöpft zu Boden und konnte nicht mehr aufstehen.

    Der Igel aber nahm die Goldmünze und den Branntwein, ging mit seiner Frau gemütlich nach Hause, und sie freuten sich über ihren Sieg. Und seit diesem Tag hat kein Hase mehr gewagt, einen Igel wegen seiner kurzen Beine auszulachen oder mit ihm um die Wette zu laufen.

    1470 Aufrufe