Der alte Sultan
Grimms Märchen
Stellt euch einen Bauernhof vor, nicht weit von hier. Auf diesem Bauernhof lebte ein Hund namens Sultan. Sultan war schon ein bisschen alt geworden, wie ein Opa-Hund. Seine Zähne waren nicht mehr die schärfsten, und beim Laufen schnaufte er manchmal ganz schön.
Eines Tages hörte Sultan, wie der Bauer zu seiner Frau sagte: "Der alte Sultan ist nicht mehr viel nütze. Er kann nicht mal mehr richtig bellen, um Diebe zu verjagen. Ich glaube, morgen müssen wir uns von ihm trennen."
Sultan wurde sehr traurig, als er das hörte. Er hatte dem Bauern doch immer treu gedient! Mit hängenden Ohren schlich er in den Wald. Dort traf er seinen alten Freund, den Wolf.
"Was ist denn los mit dir, Sultan?", fragte der Wolf. "Du siehst ja aus wie sieben Tage Regenwetter."
Sultan erzählte ihm von seinem Unglück.
Der Wolf überlegte kurz und sagte dann: "Keine Sorge, ich habe eine Idee! Morgen, wenn der Bauer mit seiner Frau und dem kleinen Kind aufs Feld geht, verstecke ich mich im Gebüsch. Wenn sie nicht aufpassen, schnappe ich mir das Kind und renne damit weg. Du tust dann so, als würdest du mich verfolgen und das Kind zurückholen. Dann wird der Bauer sehen, wie nützlich du noch bist!"
Sultan fand den Plan pfiffig. Am nächsten Tag legte die Bäuerin ihr Kind in den Schatten eines Baumes, während sie und der Bauer arbeiteten. Schwups, kam der Wolf aus dem Gebüsch, schnappte das Kind ganz vorsichtig und rannte los.
"Hilfe, Hilfe, der Wolf hat das Kind!", schrie die Bäuerin.
Sultan, der alles beobachtet hatte, sprang auf, bellte laut und jagte dem Wolf hinterher. Er holte ihn ein, und der Wolf ließ das Kind fallen und rannte davon, als hätte er große Angst.
Sultan brachte das Kind wohlbehalten zurück. Der Bauer war überglücklich! "Oh, Sultan, du treuer Hund!", rief er. "Du hast unser Kind gerettet! Du darfst für immer bei uns bleiben und bekommst das beste Futter!"
Ein paar Tage später traf Sultan den Wolf wieder im Wald. "Na, Sultan", sagte der Wolf, "jetzt bist du mir doch sicher einen kleinen Gefallen schuldig, oder? Lass mich heute Nacht unbemerkt ein fettes Schaf von deinem Bauern stibitzen. Du tust einfach so, als würdest du schlafen."
"Nein, das geht nicht!", antwortete Sultan. "Ich bin meinem Bauern treu. Ich kann ihn nicht bestehlen lassen."
Der Wolf dachte, Sultan mache nur Spaß, aber als er in der Nacht kam, um ein Schaf zu holen, bellte Sultan so laut er konnte und verjagte ihn.
Der Wolf war stinksauer. "Das wirst du mir büßen, du Verräter!", knurrte er. "Morgen früh im Wald werden wir kämpfen!"
Sultan hatte ein bisschen Angst, denn der Wolf war stark. Er hatte aber nur eine alte, dreibeinige Katze als Freundin, die er als Sekundanten, also als Helfer, mitnehmen konnte.
Am nächsten Morgen trafen sie sich im Wald. Der Wolf hatte ein wildes Schwein als Sekundanten dabei. Sultan und die dreibeinige Katze kamen langsam angetrottet. Die Katze hielt ihren Schwanz ganz steif und hoch in die Luft, weil ihr das verletzte Bein wehtat.
Das Wildschwein sah die Katze mit dem hochgestreckten Schwanz und dachte: "Oh Schreck! Die hat ja einen Säbel dabei!" Es bekam Angst und versteckte sich schnell im Laub.
Der Wolf sah, wie sein Sekundant verschwand. Dann sah er die Katze, die ihn anstarrte und leise fauchte, weil sie das Wildschwein unheimlich fand. Der Wolf dachte, der hochgestreckte Schwanz der Katze sei eine Pistole oder ein anderes gefährliches Ding. Er bekam es mit der Angst zu tun und kletterte schnell auf einen hohen Baum.
Sultan und die Katze standen da und wunderten sich, warum niemand kämpfen wollte. Sie warteten eine Weile, zuckten dann mit den Schultern und gingen gemütlich nach Hause zum Frühstück. Der Wolf und das Wildschwein aber trauten sich erst viel später wieder aus ihren Verstecken und schämten sich ein bisschen. Und Sultan lebte noch lange glücklich und zufrieden auf dem Bauernhof.
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