Die sechs Schwäne
Grimms Märchen
Hört mal her, Kinder, ich erzähle euch was Spannendes! Es gab einmal einen König, der hatte sechs Söhne, die er über alles liebte, und eine kleine Tochter, die war so süß wie Zucker. Aber eines Tages heiratete der König eine neue Frau, und die war gar nicht nett. Sie war heimlich eine böse Zauberin und mochte die Kinder überhaupt nicht, besonders die Jungs.
Sie dachte sich einen gemeinen Plan aus. Heimlich nähte sie sechs kleine, weiße Hemdchen. Aber das waren keine normalen Hemdchen, oh nein! Sie waren verzaubert. Eines Tages, als die sechs Prinzen im Schlosshof spielten, warf die böse Königin die Hemdchen über sie. Schwupps! Im selben Augenblick verwandelten sich die Prinzen in sechs wunderschöne, weiße Schwäne und flogen mit traurigem Geschnatter davon, hoch über den Wald.
Die kleine Schwester, die alles mit angesehen hatte, war furchtbar traurig. Sie weinte und beschloss, ihre Brüder zu suchen. Sie lief und lief, bis sie tief in einen großen, dunklen Wald kam. Als es Abend wurde, sah sie ein kleines Licht und fand eine Hütte. Dort, am Ufer eines Sees, sah sie ihre sechs Schwanenbrüder. Genau für eine Viertelstunde jeden Abend durften sie wieder Menschen sein! Wie haben sie sich gefreut, ihre Schwester wiederzusehen!
Die Brüder erzählten ihr: "Liebe Schwester, es gibt nur einen Weg, uns zu erlösen. Du musst sechs Jahre lang kein einziges Wort sprechen und auch nicht lachen. In dieser Zeit musst du für jeden von uns ein Hemd nähen, und zwar aus Sternblumen, die im Wald wachsen. Wenn du auch nur ein Wort sprichst oder einmal lachst, bevor die sechs Jahre um sind, ist alles umsonst."
Das war eine schwere Aufgabe! Aber die Prinzessin liebte ihre Brüder so sehr, dass sie es versuchen wollte. Sie suchte sich einen hohlen Baum, sammelte Sternblumen und begann fleißig zu nähen. Sie sprach kein Wort und lächelte nicht einmal.
Eines Tages ritt ein junger König durch den Wald auf der Jagd. Er sah die schöne Prinzessin, die so still bei ihrer Arbeit saß. Er fand sie so wunderbar, dass er sie fragte, ob sie seine Frau werden wollte. Die Prinzessin nickte nur, denn sprechen durfte sie ja nicht. Der König nahm sie mit auf sein Schloss und sie feierten Hochzeit.
Aber die Mutter des jungen Königs war eine böse Frau. Sie mochte die stumme Königin nicht und dachte sich Schlimmes aus. Als die junge Königin ein Baby bekam, stahl die böse Schwiegermutter es heimlich weg. Dann beschmierte sie den Mund der schlafenden Königin mit Blut und sagte zu ihrem Sohn, dem König: "Sieh nur, deine Frau ist eine Hexe! Sie hat ihr eigenes Kind gefressen!" Das passierte auch beim zweiten und dritten Kind.
Der König war sehr traurig, aber er liebte seine Frau. Doch die böse Schwiegermutter redete so lange auf ihn ein, bis er schließlich glaubte, seine Frau sei wirklich böse. Schweren Herzens befahl er, dass sie verbrannt werden sollte.
Als die Prinzessin schon auf dem Scheiterhaufen stand, waren die sechs Jahre fast vorbei. Fünf Hemden waren ganz fertig, beim sechsten fehlte nur noch der linke Ärmel. Da, gerade als das Feuer angezündet werden sollte, kamen sechs Schwäne angeflogen! Sie landeten direkt bei ihrer Schwester. Schnell warf die Prinzessin ihnen die Hemden über.
Und was geschah? Fünf Brüder standen sofort als junge Männer vor ihr! Nur der sechste Bruder, dessen Hemd noch keinen linken Ärmel hatte, behielt anstelle des linken Arms einen Schwanenflügel.
In diesem Augenblick waren die sechs Jahre um! Die Prinzessin durfte endlich wieder sprechen. Sie erzählte dem König alles: von ihren Brüdern, der bösen Stiefmutter, der Verzauberung und warum sie so lange schweigen musste. Sie erklärte auch, dass die böse Schwiegermutter die Kinder gestohlen hatte.
Der König war überglücklich, als er die Wahrheit hörte. Er ließ sofort nach den Kindern suchen, und sie wurden wohlbehalten gefunden. Die böse Schwiegermutter aber wurde für ihre Taten bestraft.
Und die Prinzessin, ihr König, ihre drei Kinder und ihre sechs Brüder (einer mit einem Schwanenflügel, was aber gar nicht schlimm war) lebten noch lange glücklich und zufrieden zusammen.
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