• Die Schwalbe und die Schlange

    Äsopische Fabeln
    Stellt euch vor, hoch oben unter dem Dach eines alten, ehrwürdigen Gerichtsgebäudes, wo wichtige Leute über Recht und Unrecht sprachen, baute eine kleine, fleißige Schwalbe an ihrem Nest. Sie zwitscherte fröhlich vor sich hin und freute sich schon riesig auf ihre Küken. "Hier sind wir sicher", dachte sie, "an einem Ort der Gerechtigkeit!"

    Unten aber, in einer dunklen Mauerritze, wohnte eine listige Schlange. Sie beobachtete die Schwalbe schon eine ganze Weile und dachte sich: "Hmm, das wird ein leckerer Festschmaus!"

    Bald war es soweit. Die Schwalbe legte winzige Eier, und nach ein paar Wochen schlüpften kleine, piepsende Küken. Die Schwalbenmama flog unermüdlich hin und her, um Würmer und Insekten für ihre hungrigen Kinder zu fangen.

    Eines Tages, als die Schwalbe gerade wieder Futter suchte, sah die Schlange ihre Chance. Leise, ganz leise, schlängelte sie sich die Mauer hoch zum Nest. Und schwuppdiwupp, mit einem einzigen Happs, waren alle kleinen Küken verschwunden.

    Als die Schwalbe mit einem dicken Wurm im Schnabel zurückkam, fand sie nur noch das leere Nest. Ihr Herz wurde ganz schwer. "Oh nein!", rief sie. "Meine armen, kleinen Küken!"

    Sie schaute sich um und weinte bitterlich. "Ausgerechnet hier!", schluchzte sie. "An diesem Ort, wo doch eigentlich jeder sicher sein sollte und wo die Menschen über Recht und Unrecht entscheiden! Gerade hier musste mir so etwas Schlimmes passieren!"

    Die arme Schwalbe war sehr traurig. Und sie lernte auf die harte Weise, dass manchmal auch an Orten, die sicher scheinen, Gefahren lauern können.

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