• Hermes und die Erde

    Äsopische Fabeln
    Stellt euch vor, ganz am Anfang, als die Menschen gerade erst erschaffen worden waren, da rief der oberste Gott Zeus seinen flinken Boten Hermes zu sich. Hermes, mit seinen geflügelten Sandalen, sauste sofort herbei.

    "Hermes," sagte Zeus mit seiner tiefen Stimme, "ich habe eine neue Zutat für die Menschen. Sie heißt 'Schläue'. Du sollst sie nehmen und gerecht unter allen Menschen auf der Erde verteilen." Zeus zwinkerte. "Ein bisschen Schläue macht das Leben interessanter, findest du nicht auch?"

    Hermes nickte eifrig. "Verstanden, Chef! Eine Prise Schläue für jeden!" Er bekam einen großen Beutel voll mit glitzerndem Schläue-Pulver. Es roch ein bisschen nach Abenteuer und Überraschungen.

    Also flog Hermes los, kreuz und quer über die junge Erde. Er hatte den Beutel fest im Griff und begann, das Pulver auszustreuen. Aber wisst ihr was? Hermes war an diesem Tag vielleicht ein wenig in Eile, oder er war abgelenkt von einem besonders schönen Schmetterling. Jedenfalls schüttelte er den Beutel nicht immer gleichmäßig.

    Manchmal, wenn er über ein Dorf flog, da schüttete er aus Versehen einen ganzen Schwung Schläue-Pulver auf einmal aus. Die Leute dort bekamen eine Riesenportion ab! An anderen Stellen, wo er vielleicht gerade an sein Mittagessen dachte, da tröpfelte nur ein winziges Stäubchen herunter, kaum genug für eine Ameise.

    So kam es, dass manche Menschen eine große Portion Schläue abbekamen. Sie wurden pfiffig und konnten gut knobeln und sich tolle Streiche ausdenken. Andere bekamen nur ein kleines bisschen, gerade genug, um nicht auf jeden Unsinn hereinzufallen. Und wieder andere bekamen fast gar nichts und waren dafür vielleicht besonders ehrlich und gutmütig.

    Und seit diesem Tag, so erzählt man sich, ist die Schläue auf der Welt eben nicht ganz gleich verteilt. Aber vielleicht ist das ja auch ganz gut so, denn so ist jeder Mensch ein bisschen anders und einzigartig, genau wie Hermes es – vielleicht nicht ganz absichtlich – gemacht hat.

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