• Die wahre Braut

    Grimms Märchen
    Stellt euch vor, es gab einmal ein Mädchen, das war so hübsch und gutherzig, aber es hatte es nicht leicht. Seine Mutter war gestorben, und sein Vater hatte wieder geheiratet. Die neue Stiefmutter und ihre Tochter, die Stiefschwester, waren beide ziemlich gemein zu dem armen Mädchen. Es musste den ganzen Tag schuften, vom Morgen bis zum Abend.

    Eines Tages, mitten im kältesten Winter, als alles mit Schnee bedeckt war, sagte die Stiefmutter: "Geh hinaus und pflücke mir einen Korb voll Erdbeeren! Wenn du ohne Erdbeeren zurückkommst, gibt es Ärger!"
    Das Mädchen wusste nicht, was es tun sollte. Erdbeeren im Winter? Unmöglich! Weinend ging es in den Wald. Da begegnete ihm eine kleine, alte Frau mit freundlichen Augen. "Warum weinst du denn so, mein Kind?", fragte sie.
    Das Mädchen erzählte ihr von den Erdbeeren. Die alte Frau lächelte und sagte: "Geh nur hinter jenen großen Busch dort, da wirst du finden, was du suchst." Und tatsächlich, hinter dem Busch leuchteten die schönsten roten Erdbeeren! Schnell pflückte das Mädchen seinen Korb voll und dankte der alten Frau.

    Als es mit den Erdbeeren nach Hause kam, machten Stiefmutter und Stiefschwester große Augen, waren aber noch gemeiner. Am nächsten Tag befahl die Stiefmutter: "Heute leerst du den großen Teich hinter dem Haus mit diesem löchrigen Löffel aus! Bis zum Abend muss er leer sein!"
    Wieder ging das Mädchen verzweifelt zum Teich. Der Löffel hatte mehr Löcher als alles andere! Wieder erschien die alte Frau. "Keine Sorge", sagte sie, tippte mit ihrem Finger auf den Teich, und schwuppdiwupp, war er leer!

    Am dritten Tag sagte die Stiefmutter: "Du baust mir bis heute Abend ein Schloss, schöner als das vom König!" Das Mädchen war völlig verzweifelt. Ein Schloss bauen an einem Tag? Da war wieder die alte Frau. Sie murmelte ein paar Zauberworte, und vor ihnen stand ein prächtiges Schloss, das in der Sonne glänzte.
    Die Stiefmutter und die Stiefschwester waren so neidisch, dass sie beschlossen, das Mädchen endgültig loszuwerden. Bevor die alte Frau aber verschwand, gab sie dem Mädchen drei wunderschöne Nüsse und sagte: "Wenn du einmal in großer Not bist, knacke eine Nuss."

    Das Mädchen musste von zu Hause fortgehen und wanderte traurig durch die Welt. Schließlich kam es an ein großes Königsschloss und fand dort Arbeit als Gänsemagd. Sie hütete jeden Tag die Gänse auf der Weide.

    Eines Tages sollte im Schloss ein großes Fest gefeiert werden. Alle waren aufgeregt. Das Mädchen dachte an die Nüsse. Es knackte die erste Nuss. Heraus kam ein Kleid, so silbern und glänzend wie der Mondschein! Heimlich zog es das Kleid an und ging zum Fest. Der Königssohn sah sie und war hingerissen. Er tanzte den ganzen Abend nur mit ihr. Bevor das Fest zu Ende war, huschte das Mädchen unbemerkt davon.

    Am nächsten Abend gab es wieder ein Fest. Das Mädchen knackte die zweite Nuss. Daraus kam ein Kleid, so golden und strahlend wie die Sonne! Wieder tanzte der Prinz nur mit ihr, und wieder verschwand sie heimlich.

    Am dritten Abend knackte das Mädchen die letzte Nuss. Daraus kam ein Kleid, das funkelte und glitzerte wie tausend Sterne am Himmel! Es war das allerschönste Kleid. Der Prinz war überglücklich, sie wiederzusehen. Er wollte sie festhalten, aber sie entwischte ihm wieder, verlor dabei aber einen kleinen, goldenen Schuh.

    Der Prinz war sehr traurig. Er wollte nur das Mädchen mit dem Sternenkleid heiraten. Er ließ im ganzen Land verkünden, dass er diejenige heiraten würde, der der goldene Schuh passte.
    Viele Mädchen kamen, auch die böse Stiefschwester mit ihrer Mutter. Die Stiefschwester versuchte mit aller Gewalt, ihren Fuß in den Schuh zu zwängen, aber er passte nicht.

    Da erinnerte sich jemand an die stille Gänsemagd. Man holte sie. Zuerst lachten alle, aber als sie den Schuh anprobierte, passte er wie angegossen! Und als sie dann noch von den Festen und den Kleidern aus den Nüssen erzählte, erkannte der Prinz sie sofort. "Du bist meine wahre Braut!", rief er glücklich.

    Die böse Stiefmutter und die Stiefschwester mussten beschämt das Schloss verlassen und wurden nie wieder gesehen. Der Prinz aber heiratete das liebe Mädchen, und sie feierten eine prächtige Hochzeit und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.

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