• Die kluge Bauerntochter

    Grimms Märchen
    Wisst ihr, es gab da mal einen Bauern, der war arm, aber er hatte eine Tochter, die war blitzgescheit.

    Eines Tages fand der Bauer auf seinem Feld etwas Glänzendes. Es war ein Mörser aus purem Gold! Aber der Stößel, der dazu gehörte, fehlte. Der Bauer dachte: "Den bringe ich dem König, vielleicht bekomme ich eine Belohnung."

    Seine Tochter aber sagte: "Vater, wenn du nur den Mörser bringst, wird der König auch den Stößel wollen. Und wenn du den nicht hast, gibt es Ärger." Aber der Bauer hörte nicht auf sie und brachte den goldenen Mörser zum König.

    Der König freute sich, fragte aber sofort: "Wo ist der Stößel?" Als der Bauer sagte, er habe ihn nicht, wurde der König zornig und warf den Bauern ins Gefängnis.

    Im Gefängnis jammerte der Bauer: "Ach, hätte ich doch auf meine Tochter gehört!" Die Wachen hörten das und erzählten es dem König. Der König ließ die Tochter holen und fragte, was sie denn geraten hätte. Sie sagte: "Ich hätte geraten zu sagen, dass Ihr den Stößel auch gebracht hättet, wenn Ihr ihn gefunden hättet." Der König staunte über ihre Klugheit.

    Er sagte: "Wenn du so klug bist, löse mir ein Rätsel. Komm zu mir, aber du darfst weder angezogen noch nackt sein, weder geritten noch gegangen, weder auf dem Weg noch neben dem Weg."

    Das Mädchen überlegte nicht lange. Sie wickelte sich in ein großes Fischernetz. So war sie nicht nackt, aber auch nicht richtig angezogen. Dann lieh sie sich einen Esel. Sie setzte ein Bein auf den Rücken des Esels und ließ das andere Bein auf dem Boden schleifen. So ritt sie nicht und ging auch nicht ganz. Und sie ließ den Esel so laufen, dass er mit einer Seite in der Wagenspur auf dem Weg ging und mit der anderen Seite daneben. So war sie weder ganz auf dem Weg noch ganz daneben.

    Als der König sie so sah, lachte er und sagte: "Du bist wirklich klug!" Er beschloss, sie zu heiraten. Er sagte aber auch: "Wenn wir uns jemals streiten und ich dich fortschicke, darfst du das Liebste und Beste, was du im Schloss findest, mitnehmen." Das Mädchen war einverstanden.

    Einige Zeit später gab es einen Streit zwischen zwei Bauern. Einer besaß eine Stute, der andere einen Ochsenkarren. Die Stute hatte ein Fohlen bekommen, das genau unter dem Karren lag. Der Bauer mit dem Karren sagte: "Das Fohlen gehört mir, es lag ja unter meinem Karren!" Der Bauer mit der Stute sagte: "Nein, es ist von meiner Stute!"

    Der König, der gerade nicht gut gelaunt war, entschied: "Das Fohlen gehört dem, unter dessen Karren es lag." Der arme Bauer mit der Stute war sehr traurig und beklagte sich bei der Königin.

    Die Königin sagte ihm leise einen Rat: "Nimm morgen ein Fischernetz und tu so, als würdest du auf der trockenen Straße Fische fangen. Wenn der König fragt, was du tust, sag ihm, wenn ein Karren ein Fohlen bekommen kann, dann kannst du auch auf der Straße Fische fangen."

    Am nächsten Tag tat der Bauer genau das. Der König sah ihn und fragte: "Was machst du denn da Verrücktes?" Der Bauer antwortete, wie die Königin es ihm geraten hatte. Da verstand der König, dass seine Entscheidung falsch war und gab das Fohlen dem richtigen Bauern.

    Aber er war wütend auf seine Frau, weil sie sich eingemischt hatte. "Pack deine Sachen!", rief er. "Du kannst gehen! Nimm dir das Liebste und Beste mit, wie versprochen, und verschwinde!"

    Die Königin tat traurig, aber innerlich lächelte sie. Sie sagte: "Gut, mein König. Aber lass uns vorher noch ein letztes Mal zusammen essen und trinken." Sie gab ihm einen starken Schlaftrunk in seinen Wein.

    Als der König tief und fest schlief, ließ sie ihn vorsichtig in eine Kutsche legen. Sie fuhr mit ihm zu dem kleinen Haus ihres Vaters.

    Am nächsten Morgen wachte der König auf. "Wo bin ich?", rief er verwirrt. Die Königin trat zu ihm und sagte: "Du hast gesagt, ich darf das Liebste und Beste mitnehmen. Und du, mein König, bist mir das Liebste und Beste auf der Welt."

    Da musste der König lachen. Er verstand, wie klug seine Frau war und wie sehr sie ihn liebte. Er nahm sie in den Arm, und sie fuhren zurück ins Schloss und lebten noch lange glücklich und zufrieden zusammen. Und der König hörte von da an öfter auf den Rat seiner klugen Frau.

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