Das Bürle
Grimms Märchen
In einem kleinen, gemütlichen Dorf, da wohnte ein Bauer. Er war nicht reich, nein, gar nicht. Alles, was er besaß, war eine kleine Kuh und ihr Kälbchen. Eines Tages dachte der Bauer: "Ich brauche Geld. Ich verkaufe das Kälbchen auf dem Markt."
Also nahm er sein Kälbchen und ging los. Unterwegs traf er einen Mann, der gerade einen Vogel gefangen hatte, der angeblich die Zukunft vorhersagen konnte. Der Bauer tauschte sein Kälbchen gegen den Vogel. "Dieser Vogel wird mich reich machen!", dachte er.
Stolz ging der Bauer zum Bürgermeister des Dorfes. "Herr Bürgermeister", rief er, "mein Vogel ist ein Wunder! Er kann in die Zukunft schauen und sagt uns, wo Schätze versteckt sind!" Der Bürgermeister und die anderen Dorfbewohner waren neugierig. "Na, dann lass ihn mal sprechen!", sagten sie.
Der Bauer sprach zu seinem Vogel: "Lieber Vogel, sag uns, wo Gold versteckt ist!" Aber der Vogel piepste nur und flatterte aufgeregt in seinem Käfig. Er sagte kein einziges Wort über Schätze. Die Leute fingen an zu lachen. "Du hast uns reingelegt!", rief der Bürgermeister ärgerlich.
Die Dorfbewohner waren so wütend, dass sie beschlossen, den Bauern in ein Fass zu stecken und ihn in den Fluss zu werfen. Gesagt, getan. Der arme Bauer saß im Fass und wartete darauf, in den Fluss gerollt zu werden.
Da kam ein Schäfer mit seiner Herde vorbei. "Was machst du denn da im Fass?", fragte der Schäfer neugierig.
Der Bauer, der plötzlich eine schlaue Idee hatte, rief: "Ach, ich soll Bürgermeister werden, aber ich will gar nicht! Sie zwingen mich hier im Fass!"
Der Schäfer dachte: "Bürgermeister? Das wäre toll!" Er sagte: "Lass mich rein! Ich will Bürgermeister sein!"
"Na gut", sagte der Bauer, "wenn du unbedingt willst." Schnell tauschten sie die Plätze. Der Schäfer kletterte ins Fass, und der Bauer nahm die Schafe des Schäfers und ging fröhlich davon.
Kurz darauf kamen die Dorfbewohner zurück. Sie sahen das Fass und ohne hineinzuschauen, rollten sie es mit dem Schäfer darin in den Fluss. Plumps!
Ein wenig später sahen sie den Bauern, wie er mit einer großen Herde Schafe ins Dorf kam. "Du lebst ja noch!", riefen sie erstaunt. "Und woher hast du all die Schafe?"
Der Bauer grinste verschmitzt. "Die habe ich aus dem Fluss geholt! Unten am Grund gibt es noch viel, viel mehr! Man muss nur tief genug tauchen."
Die gierigen Dorfbewohner, auch der Bürgermeister, dachten nur an die vielen Schafe. "Wir wollen auch welche!", riefen sie und sprangen einer nach dem anderen in den Fluss, um nach den Schafen zu tauchen. Aber im Fluss gab es natürlich keine Schafe, nur kaltes Wasser. Und so kamen sie nicht wieder heraus.
Der schlaue kleine Bauer aber war nun reich. Er lebte glücklich und zufrieden mit all seinen Schafen in dem kleinen Dorf und war froh, dass er so clever gewesen war.
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