Der Wind erzählt von Waldemar Daa und seinen Töchtern
Andersens Märchen
Stellt euch eine kleine Stadt vor, mit vielen bunten Häusern und Geschäften. Über jedem Geschäft hing ein Schild, das zeigte, was es dort zu kaufen gab. Dort wohnte auch ein Junge namens Karl. Karl war sehr neugierig und liebte es, die Schilder zu betrachten und sich Geschichten dazu auszudenken.
Eines Nachmittags zog ein gewaltiger Sturm auf. Der Wind heulte wie ein Wolf und rüttelte an allem, was nicht niet- und nagelfest war. Karl stand sicher an seinem Fenster und schaute hinaus, was draußen passierte. Es war ein richtiges Spektakel!
Zuerst erwischte es das Schild vom Schneider. Es zeigte eine schicke Jacke und eine elegante Hose. Prahlerisch hatte es immer verkündet: "Hier gibt's die feinsten Kleider der ganzen Stadt!" Doch der Wind pfiff: "Papperlapapp!" und riss es mit einem lauten Krachen herunter. Platsch! Da lag es im Matsch. Karl kicherte. "Nicht mehr so fein, was?", dachte er.
Als Nächstes kam das Schild vom Metzger dran. Ein dicker, starker Ochse war darauf gemalt, der immerzu zu brummen schien: "Ich bin der Stärkste! Keiner ist so kräftig wie ich!" Aber der Wind lachte nur und pustete so gewaltig, dass der starke Ochse mit einem Knall auf die Straße fiel. "So stark nun auch wieder nicht", dachte Karl und grinste.
Dann tanzte der Wind um das Schild vom Friseur, auf dem eine Schere und ein Kamm abgebildet waren. Es war immer ein bisschen eitel und flüsterte jedem zu, der vorbeiging: "Ich mache alle schön!" Der Wind wirbelte es herum wie einen Kreisel, bis es ganz schwindelig wurde und klappernd zu Boden segelte. "Jetzt brauchst du wohl selbst einen Friseur, um wieder schick auszusehen", überlegte Karl.
Auch das Schild vom Bäcker, das eine leckere Brezel zeigte und von dem immer ein herrlicher Duft auszugehen schien, wurde vom Wind erfasst. Es rief noch: "Frische Brötchen, warme Kuchen!", aber der Wind trug seine Worte davon und das Schild landete kopfüber in einer großen Pfütze. "Die Brezel ist jetzt wohl eher ein Matsch-Kringel", dachte Karl.
Sogar das ernste Schild der Schule, auf dem ein großes ABC und eine kluge Eule zu sehen waren, wackelte bedenklich. Es dachte wohl, es sei viel zu wichtig und gelehrt, um herunterzufallen. Aber der Wind kannte keine Ausnahmen. Mit einem kräftigen Ruck löste es sich und fiel – zum Glück – weich in einen großen Busch. Karl dachte: "Auch die klügsten Schilder müssen manchmal eine Pause machen und ein bisschen im Grünen liegen."
Als der Sturm endlich vorüber war, lagen viele Schilder kreuz und quer auf der Straße. Sie sahen gar nicht mehr so stolz und wichtig aus wie vorher, sondern eher ein bisschen zerzaust und kleinlaut.
Karl wusste: Auch wenn die Schilder oft prahlen und angeben, am Ende sind sie doch nur bemalte Bretter. Und ein starker Wind kann ihnen ganz schön zeigen, wer der Boss ist.
Am nächsten Tag halfen alle Leute in der Stadt zusammen, die Schilder wieder aufzuhängen. Aber Karl würde sie von nun an immer mit einem kleinen Schmunzeln betrachten. Er würde sich immer an den Tag erinnern, an dem der Wind ihnen allen eine kleine Lektion erteilt hatte.
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