• Die Hirtin und der Schornsteinfeger

    Andersens Märchen
    In einem hübschen Wohnzimmer, auf einem alten, glänzenden Schrank, standen viele feine Porzellanfiguren. Darunter war eine winzige, feine Schäferin mit goldenen Schuhen und einem Hut mit einer Rose. Neben ihr stand ein ebenso feiner Schornsteinfeger, ganz sauber und ordentlich, obwohl er einen schwarzen Anzug trug und eine kleine Leiter dabeihatte. Die beiden waren sehr ineinander verliebt.

    Nicht weit von ihnen entfernt stand ein alter Chinese aus Porzellan, der mit dem Kopf nicken konnte. Er war der Großvater der Schäferin, zumindest dachte er das. Er hatte beschlossen, dass die Schäferin einen dicken Ziegenbock-General heiraten sollte, der unter dem Tisch wohnte und aus Holz geschnitzt war. Dieser General hatte schon zwölf Frauen, aber er wollte unbedingt die kleine Schäferin.

    Der alte Chinese nickte und nickte zu allem, was der dicke Ziegenbock-General sagte. Die kleine Schäferin bekam große Angst. "Ich will ihn nicht heiraten!", flüsterte sie dem Schornsteinfeger zu. "Bitte, lass uns zusammen in die weite Welt hinausgehen!"

    Der Schornsteinfeger, der mutig war, sagte: "Wir können durch den Kamin fliehen! Dort oben ist die Welt groß und frei." Die Schäferin zögerte, denn sie hatte Angst vor dem Ruß, aber die Liebe zum Schornsteinfeger und die Angst vor dem Ziegenbock-General waren größer.

    Und so kletterten sie vom Schrank, über den Kaminsims und hinein in den dunklen Schornstein. Oh, es war stockdunkel und eng! Die Schäferin hatte ein bisschen Angst, aber der Schornsteinfeger hielt ihre Hand. Sie kletterten und kletterten, immer höher. Manchmal rutschten sie ein wenig, aber sie halfen sich gegenseitig.

    Endlich erreichten sie die Spitze des Schornsteins und schauten hinaus. Über ihnen funkelten tausend Sterne, und unter ihnen lagen die Dächer der Stadt, so weit das Auge reichte. Es war wunderschön, aber auch riesig.

    Die kleine Schäferin setzte sich auf den Rand des Schornsteins und weinte. "Die Welt ist viel zu groß für mich!", schluchzte sie. "Ich habe Angst. Ich will zurück zu unserem kleinen Schrank!" Ihr schönes Kleid war ganz schwarz vom Ruß geworden.

    Der Schornsteinfeger war zwar traurig, weil er die weite Welt sehen wollte, aber er liebte die Schäferin sehr. Also sagte er: "Gut, wir gehen zurück. Aber sei vorsichtig, der Weg nach unten ist gefährlich."

    Der Rückweg war genauso schwierig, aber schließlich waren sie wieder im Wohnzimmer, schmutzig und müde, aber zusammen. Sie schlichen sich zurück auf ihren Platz auf dem Schrank.

    Aber was war das? Auf dem Boden lag der alte Chinese – zerbrochen! Er war vom Schrank gefallen, als er versucht hatte, ihnen nachzuschauen. Die Familie im Haus hatte ihn gefunden und wieder zusammengeklebt. Aber um seinen Hals stabiler zu machen, hatten sie ihm einen Niet in den Nacken gesetzt. Nun konnte er seinen Kopf nicht mehr bewegen und nicht mehr nicken!

    Als der dicke Ziegenbock-General wieder nach der Hand der Schäferin fragte und zum alten Chinesen blickte, damit dieser nicke, passierte nichts. Der Chinese konnte nicht mehr nicken. So mussten die Schäferin und der Ziegenbock-General nicht heiraten.

    Die kleine Schäferin und der Schornsteinfeger blieben zusammen auf ihrem Platz auf dem alten Schrank. Sie wurden zwar nie wieder ganz sauber, aber das machte ihnen nichts aus. Sie liebten sich noch mehr als zuvor, denn sie hatten zusammen ein großes Abenteuer erlebt und wussten nun, dass ihr kleines Zuhause der schönste Ort für sie war, solange sie zusammen waren. Und der alte Chinese stand still da und konnte nie wieder jemanden zu etwas zwingen, wozu er nur nicken konnte.

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