Der Schmetterling
Andersens Märchen
An einem wunderschönen Frühlingstag, als die Sonne warm vom Himmel lachte, flatterte ein Schmetterling umher. Er war ein feiner Herr, dieser Schmetterling, aber er fühlte sich ein bisschen einsam. "Ach," seufzte er, "ich brauche eine Frau! Eine hübsche Blume soll es sein."
Er flog zu einem Gänseblümchen. "Liebes Gänseblümchen," sagte er, "du bist so frisch und jung. Wärst du nicht gerne meine Frau?"
Das Gänseblümchen wurde ein bisschen rot und piepste: "Oh, Herr Schmetterling, ich bin doch noch viel zu jung! Frag mich in ein paar Wochen wieder."
"Hm," dachte der Schmetterling, "so lange will ich nicht warten."
Dann sah er eine stolze Tulpe. "Guten Tag, schöne Tulpe! Du bist so elegant. Möchtest du mit mir tanzen und meine Frau werden?"
Die Tulpe reckte ihren Kopf noch höher. "Ich bin sehr vornehm, Herr Schmetterling. Ich heirate nur jemanden, der genauso prächtig ist wie ich."
"Puh," dachte der Schmetterling, "die ist mir ein bisschen zu hochnäsig."
Er flatterte weiter und entdeckte eine liebliche Lilie. "Oh, Lilie, du duftest so wunderbar! Wärst du meine Frau?"
Die Lilie lächelte sanft. "Ich bin eine Hausfrau, Herr Schmetterling. Ich kümmere mich gerne um mein Zuhause. Aber ich glaube, du bist lieber draußen unterwegs."
"Das stimmt wohl," murmelte der Schmetterling, "den ganzen Tag drinnen sitzen, das ist nichts für mich."
Eine Mohnblume nickte ihm schläfrig zu. "Hallo, Mohnblume! Du bist so schön rot. Willst du meine Frau sein?"
Die Mohnblume gähnte. "Ich bin immer so müde, Herr Schmetterling. Ich schlafe am liebsten den ganzen Tag."
"Eine Schlafmütze will ich auch nicht," dachte der Schmetterling.
Er sah das Geißblatt mit seinen vielen kleinen Blüten. "Vielleicht eine von euch?" fragte er.
Aber die Geißblatt-Schwestern kicherten und sagten: "Wir sind zu viele! Du könntest dich ja gar nicht entscheiden."
"Da haben sie recht," überlegte der Schmetterling.
Schließlich kam er zu einer wunderschönen Erbsenblüte. "Du bist die Allerschönste!", rief er. "Willst du meine Frau werden?"
Die Erbsenblüte wurde verlegen. "Ich würde ja gerne, aber siehst du meinen Bruder, die grüne Schote da? Er hat so spitze Enden, fast wie kleine Dolche. Er passt sehr auf mich auf."
Der Schmetterling sah die Schote und dachte: "Oh je, mit dem will ich mich nicht anlegen."
So flog der Schmetterling den ganzen Sommer umher und konnte sich für keine Blume entscheiden. Mal war ihm die eine zu jung, die andere zu stolz, die nächste zu häuslich oder zu schläfrig.
Der Herbst kam, und die Blumen begannen zu welken. Der Schmetterling wurde traurig. "Nun sind fast alle schönen Blumen fort," seufzte er.
Da sah er eine Minze am Wegesrand. Sie war keine richtige Blume, aber sie duftete frisch.
"Liebe Minze," sagte der Schmetterling, "du bist zwar keine Blume, aber du riechst gut. Willst du meine Frau werden?"
Die Minze lachte leise. "Ach, lieber Schmetterling, ich bin schon ein bisschen alt für die Ehe. Aber wir können gute Freunde sein, wenn du magst."
Der Schmetterling war enttäuscht. "Nur Freunde? Ich wollte doch heiraten."
Die Tage wurden kälter. Eines Tages, als der Schmetterling müde auf einem trockenen Blatt saß, kam ein Junge vorbei. Er fing den Schmetterling vorsichtig und steckte ihn mit einer feinen Nadel in eine Schachtel.
"So," sagte der Junge, "jetzt hast du eine Frau gefunden – eine Stecknadel! Und hier bleibst du."
Und so saß der Schmetterling nun fest, für immer "verheiratet" mit einer Nadel, weil er sich nicht entscheiden konnte, als die schönen Blumen noch blühten und auf ihn warteten.
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