Balders Tod
Nordische Mythologie
In der Götterwelt Asgard, hoch oben über den Wolken, lebte ein Gott, den alle liebten. Sein Name war Baldur, und er war so hell und freundlich wie die Sonne selbst. Wo Baldur war, da war Freude und Lachen.
Eines Nachts hatte Baldurs Mutter, die kluge Göttin Frigg, einen schrecklichen Traum. Sie sah, dass ihrem Sohn Gefahr drohte. Sofort machte sie sich auf den Weg durch alle neun Welten. Sie bat jeden Stein, jede Pflanze, jedes Tier und sogar Krankheiten und Gifte, Baldur niemals wehzutun. Alle versprachen es feierlich, denn alle liebten Baldur. Nur ein kleines, unscheinbares Pflänzchen, die Mistel, die auf einer Eiche wuchs, hatte Frigg übersehen. Sie dachte, es sei zu jung und zu schwach, um irgendjemandem zu schaden.
Nun war Baldur unverwundbar! Die Götter in Asgard hatten einen Riesenspaß damit. Sie versammelten sich und warfen mit Speeren, Steinen und Äxten auf Baldur, aber nichts konnte ihn verletzen. Alles prallte einfach ab oder flog an ihm vorbei, und Baldur lachte fröhlich mit ihnen.
Aber es gab einen, der nicht so fröhlich war: Loki. Loki war ein listiger und manchmal auch gemeiner Gott, der oft Unfug trieb und neidisch auf Baldurs Beliebtheit war. Er verkleidete sich als alte Frau und fragte Frigg listig aus, ob wirklich alles geschworen hätte, Baldur nichts zu tun. So erfuhr er von der kleinen Mistel.
Heimlich pflückte Loki einen Zweig der Mistel und schnitzte daraus einen spitzen Pfeil. Dann ging er zu Hödur, Baldurs blindem Bruder. Hödur stand traurig abseits, weil er wegen seiner Blindheit nicht an dem Spiel teilnehmen konnte.
Loki sagte mit sanfter Stimme: "Armer Hödur, möchtest du nicht auch Baldur ehren und etwas nach ihm werfen? Ich habe hier einen kleinen Zweig für dich. Ich helfe dir beim Zielen."
Hödur freute sich und nahm den Mistelzweig. Loki führte Hödurs Hand und half ihm, den Pfeil auf Baldur zu richten.
Hödur warf den Mistelpfeil. Und – oh Schreck! – der Pfeil traf Baldur mitten ins Herz. Baldur fiel sofort tot zu Boden.
Stellt euch vor, wie traurig und entsetzt alle Götter waren! Die Sonne schien nicht mehr so hell, und das Lachen in Asgard war verstummt. Es war die größte Trauer, die Asgard je erlebt hatte.
Odins Sohn Hermod, der Mutige, erklärte sich bereit, auf dem achtbeinigen Pferd Sleipnir in das Reich der Toten zu reiten, zu Hel, der Herrscherin dort. Er wollte Hel bitten, Baldur wieder freizugeben.
Nach einer langen und gefährlichen Reise kam Hermod in Hels düsterem Reich an. Hel hörte sich seine Bitte an und sagte: "Wenn alles auf der Welt, Lebendiges und Totes, um Baldur weint, dann darf er nach Asgard zurückkehren."
Boten wurden in alle Welten geschickt, und tatsächlich weinten alle: die Menschen, die Tiere, die Bäume, die Steine, ja sogar die Metalle weinten um den lieben Baldur.
Nur eine alte Riesin in einer Höhle namens Thökk wollte nicht weinen. Sie sagte: "Was kümmert mich Baldur? Die Toten sollen bei den Toten bleiben! Thökk wird trockene Tränen für Baldurs Begräbnis weinen."
Viele glauben, dass diese Riesin in Wirklichkeit der verkleidete Loki war, der wieder einmal sein böses Spiel trieb.
Und weil nicht alle weinten, musste Baldur im Reich der Toten bleiben, bis zur Götterdämmerung. Die Götter waren sehr, sehr traurig, und die Welt war ein bisschen dunkler und kälter geworden ohne den strahlenden Baldur.
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