Gottes Tier und Teufels Tier
Grimms Märchen
Vor langer, langer Zeit, als die Welt noch ganz neu war und die Bäume gerade erst ihre Blätter bekamen, da erschuf der liebe Gott alle Tiere. Er machte die Vögel, die fröhlich zwitscherten, die Fische, die im klaren Wasser blitzten, und die Rehe, die sanft über die Wiesen hüpften. Alle Tiere waren gut und friedlich.
Aber da war auch der Teufel. Er sah, was der liebe Gott gemacht hatte, und wurde ein bisschen neidisch. "Pah!", dachte er. "So was kann ich auch! Ich will auch Tiere machen, die mir gehören!"
Also ging er zum lieben Gott und sagte: "Du, ich möchte auch ein paar Tiere erschaffen. Darf ich?"
Der liebe Gott lächelte freundlich und antwortete: "Ja, das darfst du. Aber deine Tiere müssen anders aussehen als meine."
Der Teufel rieb sich die Hände und machte sich gleich ans Werk. Und was erschuf er? Ziegen! Diese Ziegen hatten lange, zottelige Bärte und spitze Hörner auf dem Kopf. Sie sahen ein bisschen frech aus und waren es auch. Kaum waren sie da, fingen sie auch schon an, an den jungen, zarten Bäumchen zu knabbern, die der liebe Gott gerade erst gepflanzt hatte. Sie fraßen die besten Knospen und die saftigsten Blätter.
Das gefiel dem lieben Gott natürlich gar nicht. Die schönen Bäume sollten doch wachsen und groß werden! Also erschuf er die Wölfe. Die Wölfe sollten auf die Ziegen aufpassen und dafür sorgen, dass sie nicht alle jungen Bäume kaputt machten. Und wenn eine Ziege allzu frech wurde, dann jagte ein Wolf sie auch mal ein bisschen.
Das wiederum passte dem Teufel nicht. "He!", rief er zum lieben Gott. "Das sind meine Tiere! Warum lässt du die Wölfe auf sie los?"
Der liebe Gott sagte ganz ruhig: "Wenn du es schaffst, dass deine Ziegen die Bäume in Ruhe lassen und sich benehmen, dann werde ich die Wölfe zurückpfeifen."
Der Teufel dachte nach. "Hm, wie mache ich das nur?" Dann hatte er eine Idee. "Ich mache sie einfach sanft und glatt wie die Schafe, dann sind sie bestimmt braver!" Er suchte sich einen großen, hohlen Baumstamm. Dann lockte er alle seine Ziegen in diesen hohlen Baum. Er wollte sie dort verzaubern, damit sie ein glattes Fell bekämen und nicht mehr so wild wären.
Er murmelte einen Zauberspruch, aber in seiner Eile und weil er nicht so gut im Erschaffen war wie der liebe Gott, vergaß er etwas ganz Wichtiges! Als die Ziegen eine nach der anderen wieder aus dem hohlen Baum heraussprangen, hatten sie zwar ein etwas glatteres Fell, aber ihre schönen, langen, buschigen Schwänze waren weg! Stattdessen hatten sie nur noch kurze, kleine Stummelschwänzchen hinten dran. Der Teufel hatte einfach vergessen, ihnen neue, passende Schwänze zu zaubern!
Der Teufel ärgerte sich furchtbar über seinen Fehler. Die Ziegen aber blieben trotzdem ein bisschen frech und knabberten weiter gerne an jungen Trieben. Und weil sie nun diese komischen, kurzen Stummelschwänzchen hatten und immer noch nicht ganz brav waren, passten die Wölfe weiterhin auf sie auf.
Und deshalb, liebe Kinder, haben die Ziegen bis heute so kurze Schwänzchen und müssen immer ein bisschen aufpassen, dass kein Wolf sie erwischt, wenn sie zu gierig an den leckersten Blättern naschen.
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