• Das Wasser des Lebens

    Grimms Märchen
    Stellt euch vor, es gab einmal einen König, der sehr krank war. Kein Arzt und keine Medizin konnten ihm helfen. Der König hatte drei Söhne, die sehr traurig waren, weil ihr Vater immer schwächer wurde.

    Eines Tages hörten sie von einem wundersamen Wasser, dem Wasser des Lebens. Wer davon trank, so hieß es, würde wieder gesund werden.

    Der älteste Sohn sagte: "Vater, ich will losziehen und dieses Wasser für dich finden!" Er ritt los, aber er war ein bisschen stolz und unfreundlich. Im Wald traf er einen kleinen, alten Mann. Der Mann fragte: "Wohin so eilig, junger Prinz?" Der Prinz antwortete schnippisch: "Das geht dich nichts an, alter Knacker!" Der alte Mann war darüber nicht erfreut, und so verirrte sich der Prinz bald im tiefen Wald und fand nicht mehr heraus.

    Als der älteste Sohn nicht zurückkam, machte sich der zweite Sohn auf den Weg. Auch er war nicht viel netter zu dem alten Mann im Wald und verirrte sich ebenfalls.

    Zuletzt bat der jüngste Sohn, den alle für ein bisschen einfach und nicht sehr klug hielten, seinen Vater um Erlaubnis, das Wasser des Lebens zu suchen. Er ritt los und traf denselben alten Mann. Als der Mann fragte, wohin er wolle, antwortete der jüngste Prinz freundlich: "Ich suche das Wasser des Lebens für meinen kranken Vater."

    Der alte Mann lächelte. "Weil du ein gutes Herz hast, will ich dir helfen", sagte er. "Das Wasser des Lebens findest du in einem verwunschenen Schloss. Aber sei vorsichtig! Du musst das Schloss betreten und das Wasser holen, bevor die Uhr zwölf schlägt, sonst bist du gefangen." Er gab dem Prinzen auch einen eisernen Stab und zwei kleine Brote und erklärte ihm den Weg.

    Der Prinz bedankte sich und ritt zum Schloss. Mit dem eisernen Stab öffnete er das schwere Tor. Im Schlosshof standen steinerne Löwen, aber als er sie mit dem Stab berührte, wurden sie still. Im Schloss schliefen alle tief und fest. Er fand einen Brunnen, aus dem das Wasser des Lebens sprudelte. Schnell füllte er eine Flasche damit. Bevor er ging, sah er in einem Zimmer ein schönes Schwert und einen Laib Brot liegen, die er mitnahm. Gerade als er das Schloss verließ, schlug die Uhr zwölf, und das große Tor fiel krachend hinter ihm zu. Er war gerade noch rechtzeitig entkommen!

    Auf dem Heimweg traf er den alten Mann wieder, der ihm sagte: "Mit dem Schwert kannst du ganze Heere schlagen, und das Brot wird niemals alle." Der Prinz freute sich. Bald darauf traf er seine beiden Brüder, die immer noch im Wald umherirrten. Er teilte sein Brot mit ihnen und erzählte von seinem Glück.

    Die Brüder aber waren neidisch. Als der jüngste Prinz einmal schlief, nahmen sie heimlich das Wasser des Lebens aus seiner Flasche und füllten stattdessen bitteres Meerwasser hinein.

    Als sie nach Hause kamen, eilte der jüngste Prinz zu seinem Vater und gab ihm das vermeintliche Wasser des Lebens. Der König trank davon und wurde noch kränker als zuvor! Da kamen die älteren Brüder und gaben dem König das echte Wasser des Lebens, das sie dem jüngsten gestohlen hatten. Der König trank und fühlte sich sofort besser und wurde wieder ganz gesund.

    Die bösen Brüder erzählten dem König, der jüngste Sohn hätte versucht, ihn zu vergiften. Der König war sehr zornig und befahl heimlich einem Jäger, seinen jüngsten Sohn im Wald zu töten. Der Jäger aber hatte Mitleid und ließ den Prinzen laufen.

    Der jüngste Prinz war sehr traurig, aber er hatte ja noch sein Schwert und sein Brot. Er wanderte umher und kam in ein Land, das von Feinden bedroht wurde. Mit seinem Zauberschwert besiegte er die Feinde, und mit seinem Zauberbrot gab er allen Menschen zu essen. Die Prinzessin dieses Landes hatte von dem tapferen Prinzen gehört, der das Wasser des Lebens gefunden hatte. Sie hatte eine goldene Straße zu ihrem Schloss bauen lassen und gesagt: "Wer auf dieser Straße direkt zu mir geritten kommt, der ist der Richtige."

    Als die beiden älteren Brüder davon hörten, dachten sie, die Prinzessin sei für sie bestimmt. Sie ritten zur goldenen Straße, aber sie dachten: "Es wäre doch schade, auf so einer schönen Straße zu reiten", und ritten daneben im Staub. Als der jüngste Prinz kam, dachte er nur an die Prinzessin und wie sehr er sie sehen wollte, und ritt mitten auf der goldenen Straße zu ihr.

    Die Prinzessin erkannte ihn sofort als den wahren Helden und freute sich sehr. Sie erzählte ihm, dass seine Brüder ihn betrogen hatten. Bald darauf erfuhr auch der alte König die Wahrheit über seine Söhne. Er bereute sehr, was er seinem jüngsten Sohn angetan hatte, und bat ihn um Verzeihung.

    Der jüngste Prinz heiratete die kluge Prinzessin, und sie lebten glücklich und zufrieden. Und die beiden bösen Brüder? Die mussten das Königreich verlassen und wurden nie wieder gesehen.

    1277 Aufrufe