• Die weiße und die schwarze Braut

    Grimms Märchen
    Stell dir vor, in einem kleinen Haus am Rande eines großen Waldes lebte eine Frau mit ihren zwei Töchtern. Die eine Tochter, ihre Stieftochter, war so freundlich und fleißig, dass jeder sie gernhatte. Wir können sie Klara nennen. Die andere, ihre leibliche Tochter, war mürrisch und faul, und hieß Berta. Die Mutter aber hatte Berta viel lieber als Klara und ließ Klara die ganze schwere Arbeit im Haus und im Garten allein machen.

    Eines Tages sagte die Mutter zu Klara: "Geh zum Brunnen und hol Wasser, aber sei schnell!" Klara nahm den Eimer und ging. Am Brunnen saß eine alte Frau, die sehr müde aussah. "Liebes Kind," sagte die alte Frau, "gibst du mir einen Schluck Wasser? Ich habe solchen Durst." Klara lächelte und sagte: "Aber natürlich, liebe Frau," und gab ihr frisch geschöpftes Wasser. Die alte Frau trank und sagte dann: "Weil du so ein gutes Herz hast, sollst du belohnt werden. Jedes Mal, wenn du sprichst, soll ein Goldstück aus deinem Mund fallen, und wenn du lachst, sollen wunderschöne Rosen blühen." Klara bedankte sich und ging nach Hause.

    Als sie ihrer Stiefmutter erzählte, was passiert war, und dabei Goldstücke aus ihrem Mund fielen, wurde diese ganz gierig. Sofort schickte sie Berta zum Brunnen. "Sei freundlich zu der alten Frau, damit du auch so beschenkt wirst!" rief sie ihr nach. Berta ging widerwillig zum Brunnen. Dort saß wieder die alte Frau. "Liebes Kind," bat sie, "gibst du mir einen Schluck Wasser?" Aber Berta schnauzte: "Hol dir dein Wasser doch selbst! Ich habe keine Zeit für dich." Die alte Frau sah sie ernst an und sagte: "Weil du so ein unfreundliches Herz hast, sollst du bestraft werden. Jedes Mal, wenn du sprichst, soll eine Kröte aus deinem Mund hüpfen, und wenn du lachst, sollen Disteln und Dornen wachsen." Berta rannte wütend nach Hause. Als sie ihrer Mutter davon erzählte, hüpften bei jedem Wort Kröten aus ihrem Mund. Da wurde die Stiefmutter noch zorniger auf Klara.

    Einige Zeit später hörte man, dass der junge König des Landes eine Braut suchte. Die Stiefmutter dachte sofort an ihre Berta. Sie packte die schönsten Kleider für Berta ein und gab ihr ein stolzes Pferd. Klara bekam nur alte Lumpen und ein kleines, müdes Pferdchen. "Du kommst mit als Dienerin," sagte die Stiefmutter.

    Unterwegs kamen sie an einem Fluss vorbei. Klara hatte großen Durst. "Ach, Schwesterchen," bat sie Berta, "lass mich von deinem goldenen Becher trinken." Aber Berta rief: "Nein! Wenn du Durst hast, leg dich ans Ufer und trink aus dem Fluss!" Klara war so durstig, dass sie sich niederbeugte und trank. Dabei fielen Goldstücke aus ihrem Mund direkt in den Fluss. Die Stiefmutter lachte nur höhnisch. Sie zwang Klara sogar, ihre schönen Kleider, die sie heimlich unter den Lumpen trug, auszuziehen und Berta zu geben. Klara musste nun in den schlechtesten Kleidern reiten.

    Als sie im Königsschloss ankamen, stellte die Stiefmutter Berta als ihre Tochter und zukünftige Braut vor. "Und das hier," sagte sie und zeigte auf Klara, "ist nur eine Magd, die uns begleitet hat." Der König begrüßte sie, aber als Berta sprach, um sich vorzustellen, hüpften lauter Kröten aus ihrem Mund. Der König erschrak sehr.

    Klara wurde in die Küche geschickt und musste dort helfen. Eines Abends saß sie traurig im Hof und fütterte die Gänse. Sie weinte leise vor sich hin. Da kam der alte Koch des Königs vorbei. "Warum weinst du, liebes Kind?" fragte er. Klara erzählte ihm unter Tränen ihre Geschichte, und bei jedem Wort fielen Goldstücke auf den Boden. Der Koch staunte, sammelte die Goldstücke auf und brachte sie sofort zum König.

    Der König ließ Klara zu sich rufen. Er bat sie, ihm alles zu erzählen. Klara erzählte von ihrer Stiefmutter, von Berta und von der alten Frau am Brunnen. Und während sie sprach, fielen Goldstücke aus ihrem Mund, und als sie einmal kurz lächeln musste, blühten plötzlich Rosen im Raum. Der König sah nun, wer die wahre, gute Braut war.

    Er befahl, die Stiefmutter und Berta vorzuführen. Als Berta wieder den Mund aufmachte, um sich zu verteidigen, sprangen ihr nur Kröten entgegen. Der König sagte: "Ihr habt dieses gute Mädchen schlecht behandelt und versucht, mich zu täuschen. Dafür sollt ihr das Schloss sofort verlassen und nie wiederkommen!" Die Stiefmutter und Berta mussten beschämt das Schloss verlassen, und niemand wollte mehr etwas mit ihnen zu tun haben, denn ihre Schlechtigkeit war nun bekannt.

    Klara aber feierte eine prächtige Hochzeit mit dem jungen König. Sie trug ein Kleid so weiß wie Schnee, und alle freuten sich mit ihr. Und wann immer sie sprach, fielen Goldstücke, und wenn sie lachte, blühten die schönsten Rosen im ganzen Königreich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich und zufrieden.

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