Die sechs Diener
Grimms Märchen
Ein junger Prinz, mutig und stark, hörte von einer Prinzessin, so schön wie der Morgenstern. Aber diese Prinzessin war auch sehr stolz und ein bisschen schwierig. Sie sagte: "Wer mich heiraten will, muss unmögliche Aufgaben lösen. Schafft er es nicht, nun, dann hat er Pech gehabt!"
Der Prinz dachte: "Ich schaffe das!" und machte sich auf den Weg. Unterwegs traf er seltsame Gesellen.
Zuerst einen Mann, so dick, dass er aussah wie ein kleiner Berg. "Was machst du hier?", fragte der Prinz. "Ach," sagte der Dicke, "ich bin so durstig, ich könnte einen ganzen See austrinken!" Der Prinz nahm ihn mit.
Dann traf er einen Mann, der sein Ohr an die Erde hielt. "Was tust du?", fragte der Prinz. "Ich höre das Gras wachsen und die Mücken husten", antwortete der Horcher. Auch ihn nahm der Prinz mit.
Der nächste war so lang, dass sein Kopf in den Wolken verschwand, wenn er sich streckte. "Wenn ich mich ausstrecke," sagte der Lange, "bin ich größer als der höchste Turm." Der Prinz freute sich und nahm ihn mit.
Dann kam einer mit einer Binde vor den Augen. "Warum die Binde?", fragte der Prinz. "Weil alles, was ich ansehe, zerspringt!", erklärte der Mann. Auch er durfte mitkommen.
Ein anderer zitterte vor Kälte, obwohl die Sonne schien. "Mir ist immer kalt," sagte er, "so kalt, dass Feuer neben mir zu Eis wird." Der Prinz dachte, das könnte nützlich sein, und nahm den Frostigen mit.
Zuletzt ein Mann, der ein Bein abgeschnallt hatte und es unter dem Arm trug. "Damit ich nicht zu schnell laufe," erklärte er. "Mit beiden Beinen bin ich schneller als der Wind." Der Prinz lachte und nahm den Schnellläufer auch mit.
Zusammen kamen sie zum Schloss der Prinzessin. Die Prinzessin lachte. "Meine erste Aufgabe: Holt meinen goldenen Ring vom Meeresgrund zurück!"
Der Dicke trat vor. "Kein Problem!" Er legte sich ans Ufer und trank und trank, bis das Meer fast leer war. Da lag der Ring! Der Lange streckte seinen Arm, holte den Ring und gab ihn dem Prinzen.
Die Prinzessin staunte, aber sie gab nicht auf. "Zweite Aufgabe: Esst 300 Ochsen und trinkt 300 Fässer Wein!"
Der Dicke rieb sich den Bauch. "Endlich was Richtiges zu essen!" Und er aß alle Ochsen und trank allen Wein, bis kein Krümel und kein Tropfen mehr übrig war.
Die Prinzessin wurde langsam nervös. "Dritte Aufgabe: Ihr müsst drei Tage und Nächte mit mir in einem Raum sitzen, der von Feuer umgeben ist. Wer es nicht aushält, hat verloren!"
Der Frostige lächelte. Er setzte sich in die Mitte, und sofort wurde es im Raum angenehm kühl, obwohl draußen die Flammen hochschlugen.
Die Prinzessin war wütend. "Letzte Aufgabe: Einer von euch muss mit mir um die Wette laufen, um einen Krug Wasser von einer weit entfernten Quelle zu holen."
Der Schnellläufer schnallte sein zweites Bein an. "Das ist einfach!" Er rannte los, so schnell, dass er bald weit vor der Prinzessin war. Er dachte: "Ich habe Zeit für ein Nickerchen." Er legte sich unter einen Baum und schlief ein.
Die Prinzessin überholte ihn. Aber der Horcher hörte das Schnarchen des Schnellläufers. Er sagte zum Mann mit der Augenbinde: "Siehst du den Kissen unter seinem Kopf? Ziele darauf!" Der Mann nahm kurz die Binde ab, zielte, und das Kissen zersprang. Der Schnellläufer wachte auf, sah die Prinzessin in der Ferne, rannte los und holte den Krug Wasser als Erster.
Nun musste die Prinzessin den Prinzen heiraten. Aber sie war immer noch nicht glücklich darüber. Der alte König, ihr Vater, wollte die sechs Diener loswerden. Er sagte: "Kommt, ihr tapferen Männer, holt euch euren Lohn! In dieser Kammer liegt Gold für euch."
Die Diener gingen hinein. Aber die Kammer hatte eiserne Wände und einen eisernen Boden! Der König ließ die Tür verschließen und Feuer darunter machen.
Es wurde heiß, furchtbar heiß! Aber der Frostige stellte sich in die Mitte und pustete. "Huch, ist das kalt hier drin!", sagte er, und der Raum wurde wieder kühl.
Als der König nachsah, standen die Diener da und froren. "Mehr Gold!", riefen sie. "Viel mehr Gold, sonst geht es euch schlecht!" Der König bekam Angst und gab ihnen so viel Gold, wie sie tragen konnten.
Der Prinz heiratete die Prinzessin, die nun vielleicht doch ein bisschen netter wurde. Und mit dem vielen Gold und seinen treuen Dienern lebte er glücklich und zufrieden.
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