• Der arme Müllerbursch und das Kätzchen

    Grimms Märchen
    In einer alten Mühle, die lustig am Bach klapperte, lebte ein Müller mit seinen drei Gesellen. Der Müller war schon alt und müde und wollte die Mühle bald an einen seiner Gesellen weitergeben. Er sagte: "Wer von euch mir das allerschönste Pferd nach Hause bringt, der soll die Mühle erben!"

    Die zwei älteren Gesellen hielten sich für besonders schlau. Sie lachten Hans, den jüngsten Gesellen, aus. "Du, Hans? Du findest doch nicht einmal einen Esel, geschweige denn ein schönes Pferd!", riefen sie und machten sich gleich auf den Weg.

    Hans war ein bisschen traurig, aber er packte trotzdem sein Bündel und wanderte los. Er ging tief in den Wald hinein, wo er noch nie zuvor gewesen war. Als es dunkel wurde, wusste er nicht mehr, wo er war. Da sah er in der Ferne ein Lichtlein. Neugierig ging er darauf zu und kam zu einem kleinen, verwunschenen Schloss.

    Er klopfte zaghaft an die Tür. "Miau?", tönte es von drinnen. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und eine bunt gescheckte Katze schaute heraus. "Was wünschst du, junger Mann?", fragte die Katze mit einer überraschend feinen Stimme.

    Hans erzählte von seiner Suche nach dem schönsten Pferd. Die Katze hörte aufmerksam zu und sagte dann: "Wenn du mir sieben Jahre lang treu dienst, sollst du das schönste Pferd bekommen, das du je gesehen hast." Hans dachte: "Sieben Jahre sind eine lange Zeit, aber was habe ich zu verlieren?" und willigte ein.

    So blieb Hans bei der Miezekatze im Schloss. Er musste Holz hacken, Wasser tragen und der Katze jeden Wunsch von den Augen ablesen. Viele andere kleine Kätzchen waren ihre Diener. Sie fegten mit ihren Schwänzchen die Treppen, kochten in winzigen Töpfen und spielten der Katzenkönigin auf kleinen Geigen vor. Hans hatte es eigentlich ganz gut, auch wenn die Arbeit manchmal schwer war.

    Als die sieben Jahre fast vorbei waren, fragte die Katze Hans, was er denn nun für ein Pferd haben wolle. Hans sagte: "Ach, ein ganz besonders schönes, damit mein Meister zufrieden ist."
    Da gab ihm die Katze eine kleine, goldene Schachtel und sagte: "Gehe damit zu dem großen Teich im Wald. Dort findest du zwölf Pferde, die schlafen. Wähle dir das schönste aus. Aber pass auf, dass du keines der Kätzchen mitnimmst, die dich begleiten werden."

    Hans tat, wie ihm geheißen. Er ging zum Teich, und tatsächlich, dort standen zwölf prächtige Pferde. Er suchte sich das allerschönste aus. Als er losreiten wollte, kam ein kleines Kätzchen und setzte sich auf den Schweif des Pferdes. Hans versuchte, es zu verscheuchen, aber es blieb sitzen. Traurig ritt er zurück zum Schloss.

    Die Katze sah ihn kommen und sagte: "Du hast nicht auf mich gehört. Aber ich will dir noch eine Chance geben." Sie gab ihm eine andere Schachtel, diesmal aus Silber, und schickte ihn wieder zum Teich. Diesmal sollte er das Pferd mit einem Tuch bedecken, das sie ihm gab.

    Hans fand wieder die Pferde, wählte das schönste und deckte es sorgfältig mit dem Tuch zu. Diesmal kam kein Kätzchen. Glücklich ritt er zum Schloss zurück. Die Katze lobte ihn und sagte: "Dieses Pferd ist dein. Reite nun zu deinem Meister."

    Als Hans zur Mühle kam, waren die anderen beiden Gesellen schon da. Der eine hatte ein lahmes Pferd mitgebracht, der andere ein blindes. Als der alte Müller aber das Pferd von Hans sah, glänzten seine Augen. "Hans!", rief er, "Das ist mit Abstand das schönste Pferd! Die Mühle gehört dir!"

    Hans war überglücklich. Er dachte aber auch an die liebe Miezekatze. Er ritt zurück zum Schloss, um sich zu bedanken. Als er ankam, war das Schloss noch viel prächtiger als zuvor. Und auf einem goldenen Thron saß nicht die Katze, sondern eine wunderschöne Prinzessin!
    "Lieber Hans," sagte sie, "du hast mich von einem bösen Zauber erlöst. Ich war die Katze, und meine Diener waren die kleinen Kätzchen. Weil du so treu warst, ist der Zauber gebrochen."

    Hans staunte. Die Prinzessin wurde seine Frau, und er wurde nicht nur Müller, sondern auch ein reicher Prinz. Und die vielen Kätzchen? Die waren nun wieder Menschen und dienten dem glücklichen Paar im großen Schloss. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

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