Der Eisenhans
Grimms Märchen
Hört mal zu, was einem reichen Kaufmann passierte, der viele Schiffe auf dem Meer hatte! Eines Tages kam die Nachricht, dass alle seine Schiffe gesunken waren. Plötzlich war er arm wie eine Kirchenmaus. Traurig ging er in den Wald und wusste nicht, was er tun sollte. Da traf er ein kleines, schwarzes Männchen.
"Warum bist du so traurig?", fragte das Männchen.
Der Kaufmann erzählte von seinem Unglück.
"Ich kann dir helfen", sagte das Männchen. "Ich gebe dir mehr Gold, als du je gesehen hast. Aber dafür musst du mir versprechen, was dich zu Hause als Erstes begrüßt."
Der Kaufmann dachte: "Das ist bestimmt mein kleiner Hund Bello." Also sagte er: "Ja, das verspreche ich dir!"
Er bekam das Gold und eilte nach Hause. Aber wer sprang ihm als Erstes entgegen? Nicht Bello, sondern sein kleiner Sohn, den er über alles liebte! Der Kaufmann erschrak furchtbar und erzählte seinem Sohn, was er versprochen hatte. Der Sohn war aber ein tapferer Junge und sagte: "Vater, sei nicht traurig. Das Männchen wird es schon gut mit mir meinen."
Als zwölf Jahre vergangen waren, musste der Sohn zu dem Männchen gehen. Das Männchen wartete schon und nahm ihn mit zu einem goldenen Berg. Dort drinnen war alles aus purem Gold. Der Junge musste dem Männchen dienen, das in Wirklichkeit der König des Goldenen Berges war. Eines Tages sagte der König: "Ich muss verreisen. Hier sind die Schlüssel zu zwölf Zimmern. Du darfst in elf Zimmer hineinschauen, aber das zwölfte ist verboten!"
Der Junge war neugierig. Er schaute in die elf Zimmer, die voller Schätze waren. Aber das zwölfte Zimmer lockte ihn am meisten. Heimlich schloss er es auf. Drinnen lag eine wunderschöne Prinzessin auf einem Bett und schien zu schlafen. Sie war so schön, dass er ihr einen goldenen Ring vom Finger nahm, ein besticktes Tuch und ein kleines goldenes Schwert, das neben ihr lag. Dann schloss er schnell wieder die Tür.
Als der König zurückkam, merkte er sofort, dass der Junge im zwölften Zimmer gewesen war. "Du hast mein Verbot gebrochen!", rief er zornig. "Zur Strafe musst du den Berg verlassen!" Aber er erlaubte dem Jungen, den Ring, das Tuch und das Schwert zu behalten. Die Prinzessin aber war durch das Öffnen der Tür aus ihrem Zauberschlaf erwacht. Bevor der Junge ging, sagte sie ihm leise: "Warte auf mich an einer Wegkreuzung im Wald. Sprich dort mit niemandem, bis ich komme."
Der Junge ging zur Wegkreuzung und wartete. Er wurde sehr müde und schlief ein. Da kam eine prächtige Kutsche mit der Prinzessin. Sie sah ihn schlafen und war traurig. Sie legte ihr Schwert neben ihn in die Erde und fuhr weiter, mit dem Versprechen, in einem Jahr wiederzukommen. So geschah es dreimal. Jedes Mal schlief der Junge ein, und jedes Mal ließ die Prinzessin ein Zeichen da und versprach, im nächsten Jahr wiederzukommen.
Nach dem dritten Mal war der Junge sehr verzweifelt. Er dachte, er hätte die Prinzessin für immer verloren. Er wanderte umher und kam schließlich zu einer Räuberbande im Wald, bei der er eine Weile blieb. Eines Tages hörte er, dass die Prinzessin, die er auf dem Goldenen Berg gesehen hatte, heiraten sollte. Schnell machte er sich auf den Weg zu ihrem Schloss.
Als er dort ankam, zeigte er den Ring, das Tuch und das kleine goldene Schwert. Die Prinzessin erkannte ihn sofort und war überglücklich. Sie heirateten und waren sehr fröhlich.
Nach einiger Zeit wollte der junge König seinen alten Vater besuchen. Die Prinzessin gab ihm einen Wunschring und sagte: "Mit diesem Ring kannst du dir alles wünschen. Aber pass auf, wünsche mich niemals aus dem Schloss zu dir, sonst ist alles verloren!"
Er besuchte seinen Vater, der sich riesig freute. Sie feierten, und in seiner Freude vergaß der junge König die Warnung und rief: "Ach, wenn doch nur meine liebe Frau und meine Kinder hier wären!"
Schwupps! Da standen die Prinzessin und ihre Kinder vor ihm. Sie war sehr traurig und zornig. Sie nahm ihm den Wunschring ab und verschwand mit den Kindern.
Der junge König war wieder allein und sehr unglücklich. Er suchte überall nach seiner Frau. Eines Tages kam er zu einem Berg, auf dem drei Riesen miteinander stritten. Sie konnten sich nicht einigen, wer die Zauberdinge ihres Vaters erben sollte: ein Paar Stiefel, mit denen man in Windeseile laufen konnte, ein Mantel, der unsichtbar machte, und ein Schwert, das alle Gegner auf einmal besiegen konnte.
Der junge König sagte: "Ich kann euch helfen, das gerecht zu verteilen. Lasst mich die Dinge anprobieren, dann sage ich euch, wer was bekommt." Die Riesen waren einverstanden. Er zog die Stiefel an, warf den Mantel um, nahm das Schwert und rief: "Danke schön!" und rannte blitzschnell davon, bevor die Riesen merkten, was passiert war.
Mit den Zauberdingen fand er bald das Schloss, in dem seine Frau gefangen gehalten wurde (oder einfach nur sehr traurig war). Er machte sich unsichtbar, schlich ins Schloss und hörte, wie seine Frau um ihn weinte. Da trat er vor sie, machte sich sichtbar und sagte: "Ich bin wieder da!"
Die Prinzessin war zuerst erschrocken, dann aber überglücklich. Sie umarmten sich, und weil er nun die Zauberdinge hatte, konnte ihnen niemand mehr etwas anhaben. Sie lebten von nun an glücklich und zufrieden zusammen auf ihrem Schloss. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
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