• Die zwölf Jäger

    Grimms Märchen
    Stellt euch vor, es gab einmal einen jungen Königssohn, der war bis über beide Ohren in eine wunderschöne Prinzessin verliebt. Sie hatten sich versprochen, bald zu heiraten. Doch dann wurde der alte König, sein Vater, sehr krank. Er rief seinen Sohn zu sich und sagte: "Mein lieber Sohn, ich fühle, dass mein Ende naht. Versprich mir, dass du die Prinzessin heiratest, die ich für dich ausgesucht habe."

    Der Königssohn war sehr traurig, denn er liebte ja seine erste Prinzessin. Aber er wollte seinem Vater den letzten Wunsch nicht abschlagen und versprach es. Kurz darauf starb der alte König, und der junge Mann wurde der neue König.

    Er schickte einen Boten zu seiner ersten Liebsten und ließ ihr ausrichten, was geschehen war und dass er sein Versprechen halten müsse. Die Prinzessin war untröstlich. Ihr Herz brach fast vor Kummer. Aber sie war auch klug. Sie dachte nach und hatte eine Idee. Sie rief elf Mädchen zu sich, die ihr zum Verwechseln ähnlich sahen. Sie alle zogen Jägerkleidung an, und so sahen sie aus wie zwölf junge Jäger. Die Prinzessin, als Anführerin, ritt mit ihren elf Jägerinnen zum Schloss des jungen Königs.

    Dort bot sie dem König ihre Dienste an. "Wir sind zwölf Jäger und möchten gerne für Euch jagen gehen", sagte sie mit verstellter Stimme. Der König freute sich über die tüchtigen Jäger und nahm sie gerne in seinen Dienst.

    Nun hatte der König aber einen ganz besonderen Löwen. Dieser Löwe konnte sprechen und wusste alles. Eines Abends sagte der Löwe zum König: "Herr König, Ihr denkt, Ihr habt zwölf Jäger, aber ich sage Euch, es sind zwölf Mädchen!"
    "Unsinn!", sagte der König. "Wie kommst du darauf?"
    "Ganz einfach", sagte der Löwe. "Lasst morgen Erbsen im Vorzimmer ausstreuen. Männer treten fest darauf, dass sie zerplatzen. Mädchen aber gehen vorsichtig trippelnd darüber, damit keine wegrollt."

    Der König fand den Plan gut. Aber einer der Diener hatte gelauscht und es der Jäger-Prinzessin erzählt. Am nächsten Morgen sagte die Prinzessin zu ihren Mädchen: "Passt auf, tretet fest auf die Erbsen!" Und so marschierten die zwölf Jägerinnen kräftig über die Erbsen, dass es nur so knackte.

    Der Löwe sagte zum König: "Seht Ihr, ich hatte Unrecht. Oder doch nicht? Lasst uns noch etwas versuchen. Stellt morgen Spinnräder ins Vorzimmer. Männer beachten so etwas gar nicht, aber Mädchen freuen sich darüber."
    Wieder hörte der Diener alles mit und warnte die Prinzessin. Am nächsten Tag sagte sie zu ihren Begleiterinnen: "Beachtet die Spinnräder nicht!" Als sie an den Spinnrädern vorbeigingen, würdigten sie diese keines Blickes.

    Nun glaubte der König dem Löwen nicht mehr. "Du hast dich geirrt, mein Löwe", sagte er.

    Einige Tage später waren die zwölf Jäger mit dem König auf der Jagd. Da kam ein Bote geritten und rief: "Die Braut des Königs kommt! Sie ist bald da!" Als die Jäger-Prinzessin das hörte, wurde ihr ganz schlecht. Sie dachte an ihr verlorenes Glück, und schwups, fiel sie ohnmächtig vom Pferd.

    Der König eilte sofort zu seinem liebsten Jäger, um zu helfen. Er wollte den Helm abnehmen, damit der Jäger besser Luft bekam. Dabei fielen die langen, goldenen Haare der Prinzessin heraus. Da erkannte der König seine erste, wahre Liebste! Er war so glücklich und gleichzeitig so beschämt.

    Er sagte zu ihr: "Du bist mein, und ich bin dein, und niemand auf der Welt kann das ändern." Er schickte einen Boten zur anderen Prinzessin und ließ ihr sagen, dass er schon eine Frau habe und sie wieder nach Hause fahren könne.

    Dann feierten der König und seine tapfere Jäger-Prinzessin eine große Hochzeit. Und der Löwe? Der war sehr zufrieden, denn er hatte ja doch irgendwie Recht behalten.

    1348 Aufrufe