Fundevogel
Grimms Märchen
In einem tiefen, grünen Wald, wo die Vögel fröhlich sangen, lebte einmal ein Förster. Eines Tages, als er durch den Wald ging, hörte er ein leises Piepsen. Er schaute sich um und entdeckte hoch oben in einem Baum ein kleines Baby, das in einem Vogelnest lag! "Ach du meine Güte!", rief der Förster. Er kletterte vorsichtig den Baum hinauf, nahm das Baby behutsam heraus und brachte es mit nach Hause. Weil er es wie ein Vögelchen gefunden hatte, nannte er es Fundevogel.
Der Förster hatte schon eine kleine Tochter, die Lenchen hieß. Fundevogel und Lenchen wuchsen zusammen auf wie Geschwister und hatten sich sehr, sehr lieb. Sie spielten den ganzen Tag zusammen und teilten alles.
Im Haus des Försters arbeitete aber auch eine alte Köchin namens Katrin. Diese Köchin hatte ein böses Herz. Eines Morgens, als Lenchen in die Küche schlich, hörte sie, wie die Köchin zu sich selbst murmelte: "Morgen, wenn der Förster auf der Jagd ist, werde ich einen großen Kessel Wasser aufsetzen und den Fundevogel darin kochen."
Lenchen erschrak furchtbar! Sie rannte sofort zu Fundevogel und erzählte ihm, was sie gehört hatte. "Oh nein!", rief Fundevogel. "Wir müssen weglaufen, Lenchen, sonst kocht mich die böse Köchin!"
Also packten sie schnell ein paar Brotkrumen ein, und als es dunkel wurde und alle schliefen, schlichen sie sich leise aus dem Haus und rannten in den Wald hinein, so schnell ihre kleinen Beine sie tragen konnten.
Am nächsten Morgen, als die Köchin merkte, dass Fundevogel und Lenchen verschwunden waren, wurde sie zornig. "Holt sie zurück!", befahl sie drei Knechten. Die Knechte rannten los.
Als Lenchen die Knechte von Weitem kommen sah, rief sie: "Fundevogel, liebster Fundevogel, verwandle dich schnell in einen Rosenstrauch, und ich verwandle mich in eine Rose darauf!" Und schwupps, im Nu war Fundevogel ein Rosenstrauch und Lenchen eine wunderschöne Rose, die an einem seiner Zweige blühte. Als die Knechte ankamen, sahen sie nur den Rosenstrauch mit der einzelnen Rose. "Hier sind sie nicht", sagten sie und kehrten unverrichteter Dinge zur Köchin zurück.
Die Köchin tobte: "Ihr Dummköpfe! Der Rosenstrauch hätte den Jungen und die Rose das Mädchen sein müssen! Geht und holt sie!" Doch dann dachte sie: "Ich gehe lieber selbst, ich bin klüger."
Als Lenchen die alte Köchin herankommen sah, rief sie: "Fundevogel, liebster Fundevogel, verwandle dich schnell in eine Kirche, und ich verwandle mich in einen Kronleuchter darin!" Und schwupps, da stand eine Kirche, und Lenchen hing als prächtiger Kronleuchter von der Decke. Die Köchin kam an, sah die Kirche und wollte hinein. Sie versuchte, den Kronleuchter zu erreichen, aber er hing viel zu hoch. Verärgert musste sie wieder ohne die Kinder nach Hause gehen.
Aber die böse Köchin gab nicht auf. Sie folgte den Kindern ein drittes Mal. Als Lenchen sie wieder kommen sah, rief sie: "Fundevogel, liebster Fundevogel, verwandle dich schnell in einen Teich, und ich verwandle mich in eine Ente, die darauf schwimmt!" Und schwupps, da war ein großer Teich, und Lenchen schwamm als Ente fröhlich darauf herum.
Die alte Köchin kam zum Teich. Als sie die Ente sah, dachte sie: "Die Ente fange ich und esse sie auf!" Sie legte sich an den Rand des Teiches und begann, das ganze Wasser auszutrinken. Sie trank und trank, aber der Teich wurde nicht leerer. Da war die Ente schlau. Sie schwamm schnell heran, packte die Köchin mit ihrem Schnabel am Kopf und zog sie mit einem Ruck in den Teich hinein. Da musste die böse alte Köchin ertrinken.
Fundevogel und Lenchen aber verwandelten sich wieder zurück in Kinder. Sie freuten sich riesig, dass sie gerettet waren. Hand in Hand gingen sie nach Hause zum Förster. Der Förster war überglücklich, seine beiden lieben Kinder wiederzusehen. Und von da an lebten sie alle zusammen fröhlich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.
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