• Der Gevatter Tod

    Grimms Märchen
    Stellt euch vor, ein Mann hatte dreizehn Kinder! Er arbeitete Tag und Nacht, aber er war immer noch sehr arm. Als das dreizehnte Kind geboren wurde, wusste der Mann nicht, was er tun sollte. Er brauchte einen Paten für das Kind, aber wen sollte er fragen?

    Er ging auf die Straße hinaus, um jemanden zu suchen. Zuerst traf er den lieben Gott. Gott sagte: "Ich will der Pate deines Kindes sein. Ich werde es glücklich machen." Aber der Mann schüttelte den Kopf. "Nein," sagte er, "du gibst den Reichen viel und lässt die Armen hungern. Das finde ich nicht gerecht."

    Der Mann ging weiter und traf den Teufel. Der Teufel grinste und sagte: "Nimm mich zum Paten! Ich gebe deinem Kind Gold und alle Freuden der Welt." Aber der Mann sagte wieder: "Nein, du betrügst die Menschen. Das will ich nicht."

    Schließlich kam ein dürrer Mann auf ihn zu. Es war der Tod. Der Tod sagte: "Ich will der Pate sein." Der Mann fragte: "Wer bist du?" "Ich bin der Tod, der alle gleich macht. Ich hole die Reichen genauso wie die Armen." Da sagte der Mann: "Du bist der Richtige! Du machst keinen Unterschied."

    So wurde der Tod der Pate des dreizehnten Kindes. Als der Junge älter wurde, kam der Tod zu ihm. "Ich habe ein Geschenk für dich, mein Patenkind," sagte er. "Ich mache dich zum berühmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, erscheine ich auch. Stehe ich am Kopfende des Bettes, dann gib dem Kranken von einem besonderen Kraut, das ich dir zeigen werde, und er wird gesund. Stehe ich aber am Fußende des Bettes, dann gehört der Kranke mir, und du musst ihn sterben lassen. Keine Medizin der Welt kann ihm dann helfen."

    Der Tod zeigte dem Jungen das Kraut, und der Junge wurde bald der berühmteste Arzt im ganzen Land. Wenn die Leute sahen, dass er einen Kranken heilen konnte, gaben sie ihm viel Geld. Er wurde sehr reich.

    Einmal wurde der König des Landes sehr krank. Man rief den berühmten Arzt. Als der Arzt ins Zimmer kam, sah er den Tod am Fußende des Bettes stehen. "Oh je," dachte der Arzt, "da kann ich nichts machen." Aber dann hatte er eine Idee. Er bat die Diener, das Bett des Königs schnell umzudrehen. Schwups! Nun stand der Tod plötzlich am Kopfende. Schnell gab der Arzt dem König das Kraut, und der König wurde wieder gesund.

    Der Tod war aber gar nicht erfreut. Er kam zum Arzt und schimpfte: "Du hast mich überlistet! Diesmal lasse ich es dir durchgehen, weil du mein Patenkind bist. Aber wage es nicht noch einmal, sonst geht es dir schlecht!"

    Nicht lange danach wurde die wunderschöne Prinzessin, die Tochter des Königs, schwer krank. Der König war verzweifelt und versprach: Wer seine Tochter heilt, darf sie heiraten und wird nach ihm König. Der junge Arzt kam zum Schloss. Als er ins Zimmer der Prinzessin trat, sah er den Tod wieder am Fußende des Bettes stehen. Sein Herz wurde schwer, denn er hatte sich in die schöne Prinzessin verliebt. Er musste sie einfach retten!

    Wieder dachte er nicht an die Warnung des Todes. Er war so geblendet von der Schönheit der Prinzessin, dass er die Diener wieder bat, das Bett schnell umzudrehen. Kaum war das geschehen, stand der Tod am Kopfende. Der Arzt gab der Prinzessin das Kraut, und ihre Wangen bekamen wieder Farbe. Sie war gerettet!

    Doch in diesem Moment packte der Tod den Arzt am Arm, und sein Blick war eisig kalt. "Jetzt ist es aus!", zischte er. "Du hast mich zum zweiten Mal betrogen. Nun musst du mitkommen!" Er zog den Arzt mit sich fort, immer tiefer und tiefer unter die Erde, bis sie in eine riesige Höhle kamen.

    In der Höhle brannten unzählige Lichter, wie Kerzen, in allen Größen. Manche waren riesig und brannten hell, andere waren klein und flackerten, und manche waren schon fast heruntergebrannt. "Siehst du diese Lichter?", fragte der Tod. "Das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören den Kindern und jungen Leuten, die mittleren den Erwachsenen, und die kleinen den alten Leuten."

    "Wo ist mein Licht?", fragte der Arzt ängstlich. Der Tod zeigte auf ein winziges Lichtlein, das schon bedrohlich flackerte und jeden Moment auszugehen drohte. "Oh, lieber Pate!", rief der Arzt erschrocken. "Bitte, sei mir nicht böse! Nimm mein Licht und setze es auf eine neue, große Kerze, damit ich leben, die Prinzessin heiraten und König werden kann!"

    "Das kann ich nicht," sagte der Tod. "Erst muss ein Licht ausgehen, bevor ein neues angezündet werden kann." "Dann setze mein altes Licht schnell auf eine neue Kerze, bevor es ausgeht!", bettelte der Arzt.

    Der Tod tat so, als wollte er den Wunsch erfüllen. Er griff nach dem kleinen, flackernden Lichtlein. Aber als er es aufheben und auf eine neue Kerze setzen wollte, da ließ er es – vielleicht absichtlich, vielleicht nicht – fallen. Das kleine Lichtlein zischte kurz auf und erlosch. Im selben Augenblick fiel der Arzt zu Boden und war nicht mehr.

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