• Götterdämmerung

    Nordische Mythologie
    Hört mal zu, ich erzähle euch eine ganz alte Geschichte aus dem Norden, wo die Wikinger lebten. Damals glaubten die Menschen an viele Götter, die in einer prächtigen Burg namens Asgard wohnten. Aber selbst die Götter wussten, dass nicht alles ewig so bleiben würde.

    Es begann mit einem Winter, der kein Ende nehmen wollte. Drei Jahre lang fiel Schnee, es war bitterkalt, und die Sonne schien kaum. Die Menschen wurden unfreundlich zueinander, und selbst die Götter stritten sich mehr als sonst. Das nannten sie den Fimbulwinter, den schrecklichen Winter.

    In dieser unruhigen Zeit passierte etwas Schlimmes: Loki, der schlaue und manchmal böse Gott, der für seine Streiche bestraft und gefesselt worden war, konnte sich befreien! Und nicht nur er. Auch seine Kinder, der riesige Wolf Fenrir, der so stark war, dass keine Kette ihn halten konnte, und die gewaltige Midgardschlange, die im Meer um die ganze Welt lag, wurden unruhig und brachen aus ihren Fesseln.

    Der Wächtergott Heimdall, der auf der Regenbogenbrücke stand und alles sehen und hören konnte, sah das Unheil kommen. Er blies in sein lautes Horn Gjallarhorn. Der Klang war so laut, dass ihn alle Götter in Asgard und alle Wesen in den neun Welten hörten. Es war das Zeichen: Der letzte große Kampf, Ragnarök, die Götterdämmerung, hatte begonnen!

    Odin, der oberste Gott mit nur einem Auge, sammelte seine tapferen Krieger. Thor, der Donnergott mit seinem mächtigen Hammer Mjölnir, stand bereit. Auch Tyr, der mutige Gott, der einst seine Hand geopfert hatte, um Fenrir zu fesseln, und viele andere Götter zogen in die Schlacht.

    Ihre Feinde waren furchterregend. Loki führte eine Armee von Eisriesen und anderen Ungeheuern an. Der Wolf Fenrir rannte mit aufgerissenem Maul heran, so groß, dass sein Unterkiefer die Erde und sein Oberkiefer den Himmel berührte. Die Midgardschlange stieg aus dem Meer und spuckte Gift. Und aus dem Süden kam der Feuerriese Surtur mit einem Schwert, das heller als die Sonne leuchtete.

    Die Schlacht tobte auf einer riesigen Ebene namens Vigrid. Odin kämpfte tapfer gegen den Wolf Fenrir, aber der Wolf war zu stark und verschlang den Göttervater. Doch Odins Sohn Vidar, ein stiller, aber starker Gott, rächte seinen Vater sofort und tötete den Wolf.

    Thor kämpfte gegen seinen alten Feind, die Midgardschlange. Mit seinem Hammer Mjölnir erschlug er die Schlange, aber als sie starb, spritzte sie so viel Gift auf Thor, dass er nur noch neun Schritte gehen konnte und dann ebenfalls tot umfiel.

    Loki und Heimdall, die sich schon immer gehasst hatten, kämpften erbittert gegeneinander. Am Ende besiegten sie sich gegenseitig, und beide starben.

    Als die meisten Götter und ihre Feinde gefallen waren, schwang der Feuerriese Surtur sein flammendes Schwert. Er schleuderte Feuer über die ganze Welt. Alles brannte: Asgard, die Menschenwelt Midgard, sogar der Weltenbaum Yggdrasil zitterte. Die Erde bebte und versank schließlich im tobenden Meer. Es wurde dunkel und still.

    Man könnte meinen, das wäre das Ende von allem. Aber nach einer langen, langen Zeit, als das Feuer erloschen und das Wasser sich beruhigt hatte, geschah ein Wunder. Langsam, ganz langsam, tauchte eine neue Erde aus dem Meer auf. Sie war grün und wunderschön, mit frischen Wiesen und klaren Flüssen.

    Einige Götter hatten überlebt. Vidar und Vali, die Söhne Odins, waren da. Auch Thors Söhne, Modi und Magni, fanden den Hammer ihres Vaters, Mjölnir. Sogar Balder, der gute und schöne Gott, der vor langer Zeit gestorben war, kam mit seinem Bruder Hödur aus dem Totenreich zurück.

    Und wisst ihr was? Auch zwei Menschen hatten überlebt! Ein Mann namens Lif und eine Frau namens Lifthrasir hatten sich im Stamm des Weltenbaums Yggdrasil versteckt und den Untergang überstanden. Sie kamen hervor und sahen die neue, friedliche Welt.

    Gemeinsam begannen die überlebenden Götter und die beiden Menschen, diese neue Welt zu bevölkern. Sie hofften, dass es diesmal eine bessere, friedlichere Zeit werden würde, ohne all die Kämpfe und das Leid. Und so begann, nach dem großen Ende, ein neuer Anfang.

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