• Der Bauer und der Hase am Baumstumpf

    Chinesische Fabeln
    An einem sonnigen Morgen war ein Bauer namens Finn auf seinem Feld. Die Vögel zwitscherten, und Finn summte ein Liedchen, während er die Erde für die Aussaat vorbereitete. Es war ein ganz normaler Tag, dachte er.

    Plötzlich, husch, husch, zack! Ein Hase, der wohl furchtbar erschrocken war, rannte wie von einer Tarantel gestochen über das Feld. Er schaute nicht nach links, nicht nach rechts, sondern rannte geradewegs auf einen alten Baumstumpf zu, der am Rand des Feldes stand. Bumm! Der arme Hase stieß mit dem Kopf gegen den Stumpf und blieb benommen liegen.

    Finn rieb sich die Augen. "Das gibt's ja nicht!", murmelte er. Er ging hinüber, und tatsächlich, der Hase hatte sich so doll gestoßen, dass er nicht mehr aufwachte. Finn nahm den Hasen mit nach Hause, und seine Frau kochte daraus ein leckeres Abendessen. "So einfach habe ich noch nie Essen bekommen!", dachte Finn zufrieden.

    Am nächsten Tag ging Finn wieder zum Feld. Aber anstatt seine Hacke zu nehmen, setzte er sich neben den Baumstumpf. "Wenn gestern ein Hase kam, kommt heute vielleicht wieder einer", dachte er sich. Er wartete und wartete. Die Sonne stieg höher und höher, aber kein Hase ließ sich blicken. Nur ein paar Schmetterlinge tanzten vorbei.

    Auch am nächsten Tag und am übernächsten Tag tat Finn nichts anderes, als neben dem Baumstumpf zu sitzen und auf einen Hasen zu warten. Sein Feld, das er eigentlich bestellen sollte, begann langsam mit Unkraut zuzuwachsen. Die Karotten und der Kohl, die er hätte pflanzen sollen, blieben in ihren Samentütchen.

    Die anderen Bauern im Dorf sahen Finn dort jeden Tag sitzen. Zuerst wunderten sie sich, dann kicherten sie leise. "Schaut mal, Finn wartet wieder auf sein Mittagessen!", rief ein Nachbar und lachte.

    Finn aber wartete weiter. Er wartete so lange, bis sein Feld ganz verwildert war und er nichts mehr zu ernten hatte. Kein einziger Hase kam jemals wieder zufällig gegen den Baumstumpf gerannt. Finn wurde immer dünner, und die Leute im Dorf nannten ihn nur noch den "Hasenwarter". Er hatte vergessen, dass man für sein Essen arbeiten muss und Glück nicht jeden Tag an derselben Stelle wartet.

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