Der Esel und der Hund
Äsopische Fabeln
Auf einem gemütlichen Bauernhof lebte ein Bauer zusammen mit seinen Tieren. Unter ihnen waren ein starker, aber manchmal etwas langsamer Esel und ein kleiner, pfiffiger Hund.
Der Hund war der Liebling des Bauern. Jedes Mal, wenn der Bauer von der Arbeit kam, rannte der Hund ihm schwanzwedelnd entgegen, sprang an ihm hoch, bellte vor Freude und leckte ihm die Hände. Der Bauer lachte dann, tätschelte den Hund, kraulte ihm den Bauch und gab ihm oft ein kleines Leckerli. "Du bist mein bester Freund!", sagte der Bauer dann.
Der Esel beobachtete das jeden Tag von seiner Koppel aus. Er dachte sich: "Ich arbeite so hart! Ich trage schwere Säcke zum Markt und ziehe den Karren. Aber der Bauer streichelt mich selten und Leckerlis bekomme ich auch fast nie. Der Hund tut nichts, außer herumzuspringen und Lärm zu machen, und wird dafür geliebt!"
Eines Tages hatte der Esel eine Idee. "Wenn ich mich genauso verhalte wie der Hund," dachte er, "dann wird der Bauer mich sicher auch so liebhaben und mir Leckerlis geben!"
Also, als der Bauer am Abend müde vom Feld kam, nahm der Esel all seinen Mut zusammen. Er rannte auf den Bauern zu, so schnell ihn seine Eselbeine tragen konnten. Er versuchte, mit seinem kurzen Stummelschwanz zu wedeln, was aber eher wie ein ungeschicktes Wackeln aussah. Dann stellte er sich auf die Hinterbeine, um dem Bauern, genau wie der Hund, die Vorderhufe auf die Schultern zu legen. Und statt zu bellen, stieß er ein lautes, fröhliches "IIII-AAAA!" aus.
Der Bauer aber erschrak fürchterlich! Ein riesiger Esel, der auf ihn zugestürmt kommt und versucht, auf ihn zu springen und dabei ohrenbetäubend schreit! "Hilfe! Der Esel ist verrückt geworden!", rief der Bauer und stolperte rückwärts. Er dachte, der Esel wolle ihn angreifen.
Schnell kamen die Knechte mit Stöcken herbeigelaufen. Sie sahen den Esel, der immer noch versuchte, dem Bauern nahe zu kommen, und dachten, sie müssten ihren Herrn beschützen. Sie schimpften laut mit dem Esel und scheuchten ihn mit den Stöcken zurück in den Stall.
Der arme Esel stand ganz traurig und verwirrt in seinem Stall. Er hatte doch nur versucht, so freundlich und liebenswert zu sein wie der Hund. Warum war der Bauer so böse geworden? Er knabberte an seinem Heu und verstand die Welt nicht mehr. Es ist wohl doch am besten, wenn jeder das tut, was er am besten kann, und nicht versucht, jemand anderes zu sein.
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