Der Hirsch und die Löwenhöhle
Äsopische Fabeln
In einem großen, grünen Wald, wo die Bäume bis in den Himmel ragten, lebte ein alter Löwe. Eines Tages tat der Löwe so, als wäre er sehr, sehr krank. "Oh weh, oh weh", stöhnte er laut, sodass es alle Tiere im Wald hören konnten. Er lag in seiner gemütlichen Höhle und ließ verkünden: "Der König ist krank! Wer mich besuchen kommt, den werde ich reich belohnen."
Viele Tiere hörten davon. Ein neugieriges Schaf dachte: "Vielleicht bekomme ich ein saftiges Kleeblatt!" Und es tapste zur Löwenhöhle. Kurz darauf kam ein Hase angehoppelt. "Eine Belohnung? Vielleicht eine extra große Karotte!", dachte er und verschwand ebenfalls in der Höhle. So ging es den ganzen Tag. Viele Tiere gingen hinein, um den kranken Löwen zu besuchen.
Am späten Nachmittag kam auch der schlaue Fuchs vorbei. Er war bekannt für seine klugen Augen und seine spitzen Ohren. Er blieb ein Stück vor dem Eingang der Höhle stehen und schnupperte. Der Löwe rief mit schwacher Stimme: "Ah, mein lieber Fuchs! Komm doch herein und leiste mir Gesellschaft. Mir ist so langweilig."
Der Fuchs aber schaute auf den sandigen Boden vor der Höhle. Er sah viele, viele Fußspuren. Da waren die Spuren vom Schaf, vom Hasen und von all den anderen Tieren. Sie alle führten in die Höhle hinein. Der Fuchs kniff die Augen zusammen und überlegte. Dann sagte er freundlich: "Oh, lieber Löwe, ich wünsche dir gute Besserung! Aber ich sehe etwas Seltsames."
"Was denn, mein Freund?", fragte der Löwe, immer noch mit kränklicher Stimme.
"Nun", antwortete der Fuchs, "ich sehe viele Spuren, die in deine Höhle hineingehen. Aber ich sehe keine einzige Spur, die wieder herauskommt. Das macht mich ein bisschen nachdenklich."
Der Löwe in der Höhle wurde ganz still.
Der Fuchs aber lächelte schlau, machte einen kleinen Knicks und sagte: "Ich glaube, ich bleibe lieber hier draußen an der frischen Luft. Auf Wiedersehen, Herr Löwe!" Und damit drehte er sich um und spazierte pfeifend davon. Er wusste nämlich: Wer gut aufpasst und nachdenkt, gerät nicht so leicht in Gefahr.
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