Der Maulesel
Äsopische Fabeln
Auf einem grünen, saftigen Feld, da stand ein Maultier, das ein ziemlich feines Leben hatte. Es bekam immer leckeres Futter und musste selten schwer arbeiten. Deshalb stolzierte es oft herum und dachte, es wäre etwas ganz Besonderes.
"Mein Vater," erzählte es jedem, der es hören wollte (oder auch nicht), "war ein blitzschnelles Rennpferd! Ein echter Champion! Seht nur, wie elegant ich bin!" Dabei reckte es stolz seinen Hals. Von seiner Mutter, der Eselin, sprach es lieber nicht so oft. Das passte nicht so gut zu seinem stolzen Getue.
Doch eines Tages musste das Maultier eine lange, anstrengende Reise antreten. Es sollte schwere Säcke über einen Berg tragen. Die Sonne knallte vom Himmel, der Weg war holprig und weit. Bald schon wurden seine Beine müde und sein Atem ging schwer.
"Puh, das ist anstrengend!", dachte es. "So schnell und stark wie mein Vater bin ich wohl doch nicht." Es schnaufte und keuchte. Jeder Schritt wurde mühsamer.
Und als es so keuchte und schwitzte, fiel ihm plötzlich seine Mutter ein, die liebe Eselin. Esel sind vielleicht nicht die schnellsten, aber sie sind unglaublich zäh und geben nicht so schnell auf. Sie können lange Strecken gehen und schwere Lasten tragen, ohne zu klagen.
"Ach," seufzte das Maultier leise, "vielleicht habe ich ja doch mehr von meiner Mama Eselin geerbt, als ich dachte. Und das ist eigentlich ganz gut so, denn jetzt brauche ich genau diese Ausdauer!"
Und so stapfte das Maultier weiter, ein bisschen weniger stolz auf seine angebliche Rennpferd-Schnelligkeit, aber dafür ein ganzes Stück klüger und dankbar für die Kraft und Geduld seiner Esel-Mama.
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