• Der furchtsame Reisende

    Äsopische Fabeln
    An einem warmen Sommertag wanderte ein Mann namens Finn eine staubige Straße entlang. Die Sonne brannte vom Himmel, und Finn war sehr, sehr müde. Seine Füße taten ihm weh, und seine Augenlider wurden schwer.

    Da sah er einen alten Brunnen am Wegesrand. Der Brunnen war tief, sehr tief, und ein kühler Hauch kam daraus hervor. "Ach, perfekt!", dachte Finn. "Hier kann ich mich ein bisschen ausruhen."

    Er legte sich direkt an den Rand des Brunnens, so nah, dass seine Füße fast über den dunklen Abgrund baumelten. Er dachte nicht viel darüber nach. Er war einfach nur müde. Bald schlief er fest ein und schnarchte leise vor sich hin.

    Er träumte von weichen Kissen und kühler Limonade. Im Schlaf drehte er sich ein wenig, dann noch ein wenig mehr. Und schwups! Fast wäre er kopfüber in den tiefen Brunnen gefallen! Nur ein winziges Stückchen fehlte, und er wäre in die Tiefe gestürzt!

    In diesem Moment, als er gerade noch am Rand hing, erschien plötzlich eine leuchtende Gestalt neben ihm. Es war Frau Fortuna, die Glücksbringerin. Sie sah Finn mit großen Augen an, ein bisschen streng, aber auch ein bisschen besorgt.

    "Finn, Finn!", sagte sie mit einer Stimme, die klang wie leises Glockenspiel, aber auch ein bisschen ernst. "Was machst du denn für Sachen? Stell dir vor, du wärst in diesen tiefen Brunnen gefallen! Dann hättest du bestimmt laut gerufen: 'Oh, was für ein Pech! Das böse Schicksal ist schuld!'" Sie tippte sich an die eigene glitzernde Nase. "Aber, mein lieber Finn, wäre das wirklich das Schicksal gewesen? Oder vielleicht doch eher, weil du nicht aufgepasst hast, wo du dich hinlegst?"

    Finn rieb sich die Augen. Er war ganz erschrocken und auch ein bisschen beschämt. Er kletterte schnell vom Brunnenrand weg. Er verstand, was Frau Fortuna meinte. Es war nicht das Pech gewesen, das ihn fast in den Brunnen gestürzt hätte, sondern seine eigene Unachtsamkeit.

    Von diesem Tag an passte Finn immer viel besser auf, wo er sich hinlegte, um ein Nickerchen zu machen. Und er dachte zweimal nach, bevor er dem Schicksal die Schuld für etwas gab.

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