Das Rindslederne Stiefelpaar
Grimms Märchen
Hört mal zu, Kinder, was einem tapferen Soldaten passierte, als der König ihn nicht mehr brauchte. Nach vielen Jahren im Dienst bekam er nur ein kleines bisschen Geld und musste gehen. Traurig und mit knurrendem Magen wanderte er los. Das Einzige, was ihm geblieben war, waren seine alten, aber sehr stabilen Stiefel aus Büffelleder.
Als er so durch einen großen Wald ging, setzte er sich unter einen Baum, um sich auszuruhen. Plötzlich stand ein kleines, lustiges Männchen vor ihm. Es hatte einen knallroten Hut auf und zwinkerte ihm zu. "Guten Tag, Soldat!", piepste das Männchen. "Du siehst nicht sehr fröhlich aus. Und hungrig bist du sicher auch."
Der Soldat nickte. "Ja, mein Magen knurrt wie ein Bär."
"Wenn du mir etwas von deinem letzten Proviant abgibst," sagte das Männchen, "dann sollst du dafür belohnt werden."
Der Soldat hatte zwar nicht viel, aber er teilte sein letztes Stückchen Brot mit dem Männchen.
Das Männchen kaute vergnügt und sagte dann: "Weil du so ein gutes Herz hast, schenke ich dir etwas Besonderes. Hier, nimm diesen alten Mantel. Wenn du ihn anziehst, geht jeder Wunsch in Erfüllung! Und hier ist eine kleine Pfeife. Wenn du darauf bläst, kommen sofort tausend Jäger mit Gewehren angerannt, um dir zu helfen."
Der Soldat staunte. Er bedankte sich, zog den Mantel an und dachte: "Na, das probiere ich gleich mal aus!" Er wünschte sich einen Beutel voller Goldstücke. Und schwupps! Ein schwerer Beutel mit glänzenden Goldmünzen lag vor seinen Füßen. "Das ist ja unglaublich!", rief der Soldat.
Er ging in die nächste Stadt, kaufte sich feine Kleider, aß das beste Essen und wohnte im vornehmsten Gasthaus. Es ging ihm richtig gut. Eines Abends saß er da und dachte: "Ich habe jetzt alles, was ich brauche. Aber ich würde so gerne einmal die Königstochter sehen. Man sagt, sie sei die schönste Prinzessin auf der ganzen Welt."
Er zog seinen Wunschmantel an und sagte leise: "Ich wünsche mir, dass die Königstochter zu mir kommt."
Kaum hatte er das gesagt, da stand die Prinzessin auch schon vor ihm. Sie schlief tief und fest und sah wirklich zauberhaft aus. Der Soldat war ganz hingerissen. Er betrachtete sie eine Weile und wünschte sie dann sanft wieder zurück in ihr Bett im Schloss.
Das machte er noch zwei weitere Nächte so. Am dritten Morgen aber erzählte die Prinzessin ihrem Vater, dem König, von ihren seltsamen Träumen. Sie träumte, sie wäre jede Nacht in einem fremden Zimmer bei einem Soldaten gewesen. Der König wurde sehr zornig und auch ein bisschen neugierig. Er befahl seiner Tochter, in der nächsten Nacht, falls sie wieder dorthin getragen würde, ihre Schuhe nicht ordentlich nebeneinander, sondern einen unter das Bett und einen hinter die Tür zu stellen. So wollte er herausfinden, wo sie war.
Und so geschah es. Als die Prinzessin wieder beim Soldaten war, versteckte sie ihre Schuhe, wie der König es gesagt hatte. Am nächsten Morgen ließ der König im ganzen Land nach den Schuhen suchen. Man fand sie schließlich im Zimmer des Soldaten.
Der Soldat wurde sofort festgenommen und vor den König gebracht. "Du Schurke!", brüllte der König. "Du hast meine Tochter heimlich zu dir geholt! Dafür musst du sterben!"
Der Soldat wurde ins Gefängnis geworfen und sollte am nächsten Tag hingerichtet werden.
Als er schon auf dem Weg zur Hinrichtung war, bat er den König um einen allerletzten Wunsch. "Majestät," sagte er, "erlaubt mir bitte, noch ein letztes Mal meinen alten Mantel anzuziehen und auf meiner Pfeife zu blasen."
Der König lachte. "Na gut, du armer Tropf. Das sollst du haben."
Der Soldat zog schnell seinen Wunschmantel an und pfiff kräftig auf seiner Pfeife. Im selben Augenblick kamen tausend Jäger mit ihren Gewehren angerannt! Sie umstellten den König und seine Wachen.
Der König erschrak fürchterlich. "Oh weh, oh weh!", rief er. "Bitte, verschone mich! Ich gebe dir meine Tochter zur Frau und mein halbes Königreich!"
Der Soldat dachte kurz nach. "Das halbe Königreich ist mir nicht genug", sagte er. "Ich will das ganze!"
Da der König keine andere Wahl hatte, stimmte er zu. So heiratete der Soldat die wunderschöne Prinzessin und wurde König über das ganze Land. Er regierte weise und gut. Und seine alten Stiefel aus Büffelleder? Die hob er gut auf und zog sie manchmal an, um sich an die Zeit zu erinnern, als sein großes Abenteuer begann.
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