Der gläserne Sarg
Grimms Märchen
Stellt euch vor, ein kleiner Schneider, nennen wir ihn Fritz, wanderte eines Tages durch einen riesigen, tiefen Wald. Die Sonne ging schon unter, und Fritz hatte sich ein bisschen verlaufen. "Oh je", dachte er, "wo soll ich denn heute Nacht schlafen?" Da sah er in der Ferne ein kleines Lichtlein funkeln. "Prima!", rief er und eilte darauf zu.
Das Licht kam von einer kleinen, moosbewachsenen Hütte. Fritz klopfte zaghaft an die Tür. Ein alter Mann mit einem langen, weißen Bart und freundlichen Augen öffnete. "Guten Abend, junger Mann", sagte er. "Was führt dich so spät hierher?"
Fritz erzählte, dass er sich verirrt hatte und bat um ein Nachtlager. Der alte Mann lächelte. "Komm nur herein, hier ist Platz genug."
In der Hütte war es warm und gemütlich. Während sie eine einfache Suppe aßen, hörten sie draußen plötzlich ein lautes Rauschen und Poltern. Die Tür flog auf, und herein stürmten ein prächtiger Hirsch und eine wunderschöne, weiße Hindin! Sie begannen sofort, miteinander zu kämpfen. Der Hirsch stieß mit seinem großen Geweih, und die Hindin wehrte sich tapfer. Aber der Hirsch war stärker und stieß die Hindin zu Boden. Fritz war ganz erschrocken, aber der alte Mann sagte nur ruhig: "Keine Sorge, das ist nur ein Spiel." Dann verschwanden die Tiere so schnell, wie sie gekommen waren.
Fritz schlief in dieser Nacht sehr unruhig. Er träumte von einem goldenen Schlüssel, der unter dem Geweih eines Hirsches versteckt war, und von einem geheimnisvollen Schloss tief im Wald. Als er am Morgen aufwachte, waren der alte Mann und die Tiere verschwunden. Aber an der Stelle, wo der Hirsch am Abend gestanden hatte, lag tatsächlich ein kleiner, goldener Schlüssel!
Fritz erinnerte sich an seinen Traum und beschloss, das Schloss zu suchen. Er wanderte tiefer in den Wald hinein, bis er zu einer alten, steinernen Mauer kam. Dahinter ragte ein Schloss mit vielen Türmen empor. Die große Eingangstür war fest verschlossen. Fritz probierte seinen goldenen Schlüssel – und er passte!
Vorsichtig trat er ein. Im größten Saal des Schlosses stand etwas Unglaubliches: ein Sarg ganz aus Glas! Und in diesem Glassarg lag ein wunderschönes Mädchen. Sie hatte die Augen geschlossen und sah aus, als ob sie schlief. Ihre Kleider glänzten wie Silber.
Fritz war so fasziniert, dass er den Glassarg vorsichtig berührte. In diesem Moment öffnete das Mädchen die Augen und lächelte ihn an. "Oh, du bist es!", sagte sie mit heller Stimme. "Ich habe so lange gewartet."
Fritz war ganz verwirrt. "Wer bist du?", fragte er.
Das Mädchen erzählte ihm ihre Geschichte: "Ich bin eine Prinzessin. Ein böser Zauberer hat mich und meinen Bruder verflucht. Mein Bruder wurde in einen Hirsch verwandelt, und ich wurde in diesen Glassarg gesperrt. Der Zauberer sagte, nur ein mutiger Mensch mit einem reinen Herzen könne den Schlüssel finden und mich befreien."
"Der Schlüssel!", rief Fritz und hielt ihn hoch. Am Glassarg war ein kleines Schloss. Fritz steckte den Schlüssel hinein, drehte ihn um, und mit einem leisen Klicken sprang der Deckel des Sarges auf. Die Prinzessin stieg heraus, fröhlich und gesund.
"Du hast mich gerettet!", rief sie und umarmte Fritz.
In diesem Augenblick hörten sie Hufgetrappel. Der prächtige Hirsch von letzter Nacht stürmte in den Saal. Vor ihren Augen verwandelte er sich zurück in einen jungen Prinzen! Es war der Bruder der Prinzessin.
"Schwester!", rief er. "Du bist frei! Und du, tapferer Schneider, hast den Bann gebrochen!"
Der Prinz erklärte, dass der Zauberer auch all ihre Schätze im Schloss versteckt hatte. Mit dem goldenen Schlüssel konnten sie nun alle Türen und Truhen öffnen. Sie fanden Kammern voller Gold, Silber und funkelnder Edelsteine.
Der kleine Schneider Fritz, der so mutig gewesen war, heiratete die wunderschöne Prinzessin. Sie lebten zusammen mit dem Prinzen glücklich und zufrieden im wiedererwachten Schloss mitten im Wald. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann feiern sie dort vielleicht immer noch fröhliche Feste.
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