• Das Eselein

    Grimms Märchen
    In einem prächtigen Schloss, umgeben von blühenden Gärten, lebten einst ein König und eine Königin. Sie hatten alles, was man sich wünschen konnte, nur eines fehlte ihnen zu ihrem Glück: ein Kind. Nach langem Warten wurde die Königin endlich schwanger, und alle im Schloss freuten sich riesig. Doch als das Baby zur Welt kam, staunten alle nicht schlecht: Es war kein Prinz und keine Prinzessin, sondern ein kleines Eselchen!

    Zuerst waren der König und die Königin ein bisschen traurig, aber dann sagten sie: "Nun gut, es ist unser Kind, und wir werden es lieben, so wie es ist." Das Eselchen wuchs heran und war ein kluges und fröhliches Tier. Es hüpfte im Schlossgarten herum und lernte sogar, auf der Laute zu spielen – und das richtig gut! Seine Melodien waren so schön, dass alle Vögel im Garten still wurden, um zuzuhören.

    Eines Tages sagte das Eselchen zu seinen Eltern: "Ich möchte in die Welt hinausziehen und mein Glück versuchen." Der König und die Königin waren traurig, ihn gehen zu lassen, aber sie gaben ihm ihren Segen und eine neue Laute.

    So wanderte das Eselchen los und kam nach langer Reise an ein anderes großes Schloss. Es klopfte mutig an das Tor. Ein Wächter öffnete und rief erstaunt: "Was will denn ein Esel hier?"
    "Ich möchte hinein und am Tisch des Königs sitzen", antwortete das Eselchen selbstbewusst.
    Der Wächter lachte, aber weil das Eselchen so höflich bat und so eine feine Laute trug, ließ er es hinein.

    Im großen Saal saßen viele vornehme Leute. Als sie das Eselchen sahen, kicherten einige. Aber das Eselchen setzte sich einfach an den Tisch, als wäre es das Normalste der Welt.
    Der König fragte: "Nun, Eselchen, was kannst du denn Besonderes?"
    "Ich kann wunderschön auf der Laute spielen", sagte das Eselchen.
    Man brachte ihm seine Laute, und es spielte so zauberhaft, dass alle still wurden und lauschten. Sogar die Prinzessin, die Tochter des Königs, hörte aufmerksam zu und lächelte. Ihre Augen funkelten.

    Als es fertig war, fragte der König, der sehr beeindruckt war: "Das war wunderbar! Was wünschst du dir als Belohnung?"
    Das Eselchen sagte mutig: "Ich wünsche mir, Eure Tochter, die Prinzessin, zu heiraten!"
    Da lachten einige Ritter laut, aber der König dachte nach. Er hatte so etwas noch nie erlebt, aber das Eselchen war klug, seine Musik war bezaubernd, und die Prinzessin schien das Eselchen auch zu mögen. Sie nickte ihrem Vater heimlich zu.
    So sagte der König: "Gut, du sollst meine Tochter heiraten."

    Die Hochzeit wurde gefeiert, und alle waren gespannt, wie das wohl werden würde. Am Abend, als das Eselchen mit der Prinzessin allein im Zimmer war, geschah etwas Erstaunliches. Das Eselchen streifte seine Eselshaut ab wie einen Mantel, und darunter kam ein wunderschöner junger Prinz zum Vorschein! Er war so anmutig und freundlich, wie seine Musik es schon verraten hatte.
    Die Prinzessin war überglücklich, denn sie hatte schon geahnt, dass mehr in diesem Eselchen steckte.

    Am nächsten Morgen erzählten sie dem König alles. Der König ließ die Eselshaut sofort verbrennen, damit der Prinz nie wieder ein Esel sein musste. Und so lebten der Prinz und die Prinzessin glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann spielen sie vielleicht gerade jetzt zusammen auf der Laute.

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