• Der treue Johannes

    Grimms Märchen
    Stellt euch vor, in einem kleinen Dorf, nicht weit von hier, lebten zwei Jungen. Der eine hieß Ferdinand und war so lieb und ehrlich, dass alle ihn Ferdinand den Treuen nannten. Der andere hieß auch Ferdinand, aber er war oft ein bisschen eifersüchtig und nicht immer ganz ehrlich, deshalb nannten ihn manche heimlich Ferdinand den Untreuen.

    Eines Tages ging Ferdinand der Treue im Wald spazieren. Da hörte er ein leises Piepsen. Ein kleiner, weißer Vogel flatterte aufgeregt umher und ließ einen winzigen, goldenen Schlüssel direkt vor Ferdinands Füße fallen. "Was ist das denn?", wunderte sich Ferdinand. Er hob den Schlüssel auf und der Vogel zwitscherte fröhlich, als wollte er sagen: "Nimm ihn, er ist für dich!"

    Neugierig geworden, folgte Ferdinand dem Vogel, der ihn zu einem alten, verzaubert aussehenden Schloss führte. Der goldene Schlüssel passte genau ins Schloss! Ferdinand öffnete die Tür und traute seinen Augen kaum: In einem Stall stand ein wunderschönes, schneeweißes Pferd. Kaum hatte Ferdinand es erblickt, da sprach das Pferd: "Hallo, Ferdinand der Treue! Ich habe auf dich gewartet. Nimm diese Schreibfeder hier, sie ist magisch." Das Pferd stupste mit seiner Nase eine glitzernde Feder an, die neben ihm lag.

    Ferdinand nahm die Feder, schwang sich auf das Pferd und es galoppierte los, als hätte es Flügel. Sie kamen zu einem prächtigen Königsschloss. Das Pferd sagte: "Schreib deinen Namen mit der Feder an das große Tor." Ferdinand tat, wie ihm geheißen, und schrieb "Ferdinand" in goldenen Buchstaben an das Tor.

    Die Königstochter, eine wunderschöne Prinzessin, sah den Namen und war ganz verzaubert. "Wer ist dieser Ferdinand?", fragte sie ihren Vater, den König. "Den möchte ich kennenlernen!" Der König ließ im ganzen Land verkünden, dass der Ferdinand, der seinen Namen an das Schlosstor geschrieben hatte, sich melden solle.

    Ferdinand der Untreue hörte davon und dachte sich: "Das ist meine Chance!" Er ging zum König und behauptete frech: "Ich bin der Ferdinand! Ich habe meinen Namen an das Tor geschrieben."

    Die Prinzessin war aber schlau und dachte sich: "Das wollen wir doch mal sehen!" Sie sagte: "Wenn du der Richtige bist, dann kannst du mir sicher meinen goldenen Ring wiederbringen, den ich im See verloren habe." Ferdinand der Untreue suchte und suchte, aber fand den Ring natürlich nicht.

    Traurig ging Ferdinand der Treue zum See. Sein weißes Pferd sagte: "Keine Sorge, bitte die Ente dort um Hilfe." Ferdinand bat die Ente, und schwupps, tauchte sie unter und kam mit dem goldenen Ring im Schnabel wieder hoch! Ferdinand brachte den Ring zur Prinzessin.

    Doch Ferdinand der Untreue gab nicht auf und sagte: "Das war nur Glück!" Die Prinzessin sagte: "Gut, dann bring mir die schönste Frau der Welt." Ferdinand der Untreue suchte überall, brachte aber nur ein ganz gewöhnliches Mädchen mit.

    Ferdinand der Treue wusste nicht, was er tun sollte. Da sagte sein weißes Pferd: "Setz dich auf meinen Rücken, ich weiß, wo die schönste Frau der Welt ist." Das Pferd galoppierte los und brachte Ferdinand direkt wieder zur Prinzessin. "Hier ist sie!", rief Ferdinand und zeigte auf die Königstochter.

    Da lachte die Prinzessin und sagte: "Du bist der wahre Ferdinand! Du bist ehrlich und klug." Der König war auch sehr erfreut. Ferdinand der Treue und die Prinzessin heirateten bald darauf und feierten ein riesiges Fest. Das weiße Pferd bekam den Ehrenplatz im königlichen Stall.

    Und Ferdinand der Untreue? Er schämte sich sehr und musste versprechen, von nun an immer ehrlich zu sein. Vielleicht hat er ja daraus gelernt und wurde auch ein bisschen treuer.

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