• Das Totenhemdchen

    Grimms Märchen
    Stellt euch vor, es gab da eine Mutter, die hatte einen kleinen Jungen, den sie über alles liebte. Er war ein fröhliches Kerlchen, immer am Lachen und Spielen. Doch eines Tages wurde der kleine Junge plötzlich sehr krank, und nicht lange danach schlief er für immer ein.

    Die Mutter war untröstlich. Sie weinte Tag und Nacht und konnte einfach nicht aufhören. Ihre Augen waren immer rot und geschwollen von den vielen Tränen.

    Ein paar Nächte, nachdem der kleine Junge begraben worden war, als die Mutter wieder einmal in ihrem Bett lag und bitterlich weinte, da sah sie ihn plötzlich. Ihr kleiner Junge stand da, in seinem weißen Hemdchen, das man ihm angezogen hatte, als er in sein kleines Bettchen im Grab gelegt wurde.

    Aber das Hemdchen war ganz nass, als hätte jemand Wasser darüber geschüttet.

    "Ach, mein liebes Kind," rief die Mutter erschrocken, "warum ist dein Hemdchen denn so nass?"

    Der kleine Junge sah sie traurig an und sagte mit seiner leisen Stimme: "Liebe Mutter, das sind deine Tränen. Jedes Mal, wenn du weinst, wird mein Hemdchen nass. Ich kann in meinem Bettchen nicht schlafen, weil es immer so feucht ist."

    Die Mutter erschrak sehr, als sie das hörte. Sie verstand, dass ihr Weinen ihrem kleinen Jungen keine Ruhe ließ. Sie nahm sich fest vor, nicht mehr so viel zu weinen, auch wenn es ihr schwerfiel.

    In der folgenden Nacht, als die Mutter nur noch ganz leise und heimlich ein paar Tränchen vergoss, erschien ihr der kleine Junge wieder. Diesmal war sein Hemdchen fast trocken und viel heller. Er sah schon ein bisschen zufriedener aus.

    Er lächelte seine Mutter an und sagte: "Siehst du, Mutter? Jetzt ist mein Hemdchen schon viel trockener. Bald kann ich richtig gut schlafen."

    Die Mutter war froh, das zu hören. Sie bemühte sich noch mehr, ihre Trauer stiller zu tragen. Sie dachte an die schönen Zeiten mit ihrem Jungen und versuchte, sich an sein Lachen zu erinnern, anstatt nur zu weinen.

    Und siehe da, in der dritten Nacht kam der kleine Junge wieder. Sein Hemdchen war nun ganz trocken und strahlend weiß. Er sah so friedlich und glücklich aus.

    Er breitete seine Ärmchen aus und sagte: "Danke, liebe Mutter! Mein Hemdchen ist jetzt ganz trocken. Nun kann ich endlich ruhig in meinem Bettchen schlafen." Er gab seiner Mutter einen liebevollen Blick, drehte sich um und verschwand.

    Von diesem Tag an weinte die Mutter nicht mehr so verzweifelt. Sie wusste, dass es ihrem kleinen Jungen nun gut ging und er seinen Frieden gefunden hatte. Und auch sie fand langsam wieder ein bisschen Freude im Leben.

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