• Die drei Vögelchen

    Grimms Märchen
    Stellt euch ein Königreich vor, mit einem König, der drei Töchter hatte. Zwei davon waren ein bisschen eingebildet, aber die jüngste Tochter, Lenchen, war so lieb und freundlich, dass alle sie mochten.

    Eines Tages ging der König in den Wald zum Jagen. Puh, der Wald war riesig! Und schwupps, hatte er sich verlaufen. Er rief und suchte, aber kein Weg führte hinaus. Als es dunkel wurde, sah er ein Licht und ging darauf zu. Es war ein kleines Häuschen, und eine alte Frau schaute heraus. "Liebe Frau," sagte der König, "könnt Ihr mir den Weg aus dem Wald zeigen?"
    "Gern," sagte die alte Frau, "aber unter einer Bedingung: Du musst mir deine älteste Tochter zur Frau geben."
    Der König erschrak, aber in seiner Not versprach er es. Die alte Frau zeigte ihm den Weg, und er eilte nach Hause.

    Er erzählte seinen Töchtern, was geschehen war. Die älteste Tochter weinte und schimpfte. Die zweite zitterte vor Angst. Aber Lenchen, die jüngste, sagte: "Lieber Vater, wenn es sein muss, um dich zu retten, dann gehe ich."
    Am nächsten Morgen kam die alte Frau. Sie sah noch viel älter und wunderlicher aus als im Wald. Die älteste Tochter versteckte sich. Die zweite rannte davon. Nur Lenchen trat vor und sagte freundlich: "Guten Tag. Ich bin bereit, mit Euch zu gehen."
    Da lächelte die alte Frau, und plötzlich verwandelte sie sich in eine wunderschöne junge Königin! "Du hast ein gutes Herz, Lenchen", sagte sie. "Du sollst nicht meine Dienerin sein, sondern meine Freundin." Doch der König hatte Lenchens Mut und Güte gesehen und sagte: "Nein, so ein gutes Mädchen soll meine Königin werden!" Und so heiratete der König Lenchen, und sie waren sehr glücklich.

    Aber Lenchens zwei ältere Schwestern waren furchtbar eifersüchtig.
    Ein Jahr später bekam Königin Lenchen ein wunderschönes Söhnchen mit einem goldenen Stern auf der Stirn. Als die Königin schlief, nahmen die bösen Schwestern das Baby, warfen es in einen Korb in den Fluss und sagten dem König, die Königin hätte ein Ungeheuer geboren. Der König war sehr traurig.
    Im nächsten Jahr bekam die Königin wieder einen Sohn, auch mit einem goldenen Stern. Wieder stahlen ihn die Schwestern und warfen ihn in den Fluss.
    Im dritten Jahr bekam sie ein wunderschönes Töchterchen. Auch sie wurde von den Schwestern in den Fluss geworfen. Diesmal sagten sie dem König, die Königin hätte eine Katze geboren. Da wurde der König so zornig, dass er seine arme Frau in einen dunklen Turm sperren ließ.

    Aber die drei Kinder waren nicht ertrunken. Ein Fischer hatte die Körbe gefunden und die Kinder gerettet. Er und seine Frau hatten selbst keine Kinder und zogen die drei liebevoll auf.
    Die Jahre vergingen. Eines Tages waren die beiden Brüder im Wald auf der Jagd. Sie verfolgten ein schönes Schneehuhn, aber es flog auf einen Baum und rief:
    "Ach, Fischerjunge, lass mich leben,
    Ich will dir gute Botschaft geben."
    Dann flog es zu ihnen herunter und hatte ein goldenes Halsband im Schnabel, das es dem älteren Bruder gab. Es flog zu einem anderen Baum und rief wieder. Als die Brüder näherkamen, warf es dem jüngeren Bruder eine goldene Börse zu, die immer voll war.
    Dann flog es zu einem dritten Baum und rief: "Ihr seid keine Fischerkinder! Euer Vater ist der König! Eure Mutter sitzt unschuldig im Turm. Geht zum Schloss!"
    Die Brüder erzählten ihrer Schwester davon, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.

    Als sie vor dem König standen, erkannten die bösen Schwestern sie sofort an den goldenen Sternen und bekamen große Angst. Der König aber wusste nicht, wer sie waren.
    Da flog das Schneehuhn, das in Wahrheit ein verzaubertes Vöglein war, ins Zimmer und setzte sich auf die Schulter der Schwester. Es begann zu singen:
    "Meine Mutter, die mich schlacht',
    Mein Vater, der mich aß,
    Mein Schwesterlein, die hob gar wohl
    All meine Beinlein auf ein kühles Grab,
    Da ward ich ein schönes Waldvögelein,
    Flieg ich davon, flieg ich davon!"
    Und das Vöglein ließ ein Tuch fallen, auf dem die ganze Geschichte mit Goldfäden gestickt war: wie die bösen Schwestern die Kinder gestohlen und die Königin verleumdet hatten.
    Der König verstand nun alles. Er ließ Königin Lenchen sofort aus dem Turm holen. Was für eine Freude, als sie ihre Kinder wiedersah! Die bösen Schwestern aber wurden für ihre Taten bestraft und aus dem Land gejagt. Die Königsfamilie aber lebte noch lange glücklich und zufrieden, und das kleine Vögelchen besuchte sie oft und sang ihnen die schönsten Lieder.

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