Von dem Tode des Hühnchens
Grimms Märchen
Ein Hähnchen und ein Hühnchen, zwei allerbeste Freunde, wollten einmal zusammen auf den Nussberg gehen, um Nüsse zu sammeln. Dort auf dem Berg fand das Hühnchen eine riesengroße Nuss. "Oh, was für eine tolle Nuss!", gackerte es und wollte sie gleich ganz verschlucken. Aber die Nuss war zu groß! Puh, sie blieb ihm im Hals stecken, und das arme Hühnchen bekam keine Luft mehr und fiel tot um.
Das Hähnchen war furchtbar traurig. Sein bestes Freundinchen war nicht mehr da! Es weinte und weinte. Dann baute es einen kleinen Wagen aus Zweigen. Es legte das tote Hühnchen vorsichtig darauf und wollte es nach Hause bringen, um es schön zu begraben.
Unterwegs traf es eine Ente. "Gak, gak, Hähnchen, warum ziehst du den Wagen so traurig?", fragte die Ente.
"Ach", schluchzte das Hähnchen, "mein liebes Hühnchen ist gestorben, weil es eine zu große Nuss verschluckt hat."
"Oh, wie schrecklich!", quakte die Ente. "Darf ich mitfahren und trauern?"
"Ja, steig auf", sagte das Hähnchen.
Bald darauf kamen sie an einer Nadel und einer Stecknadel vorbei, die am Wegesrand saßen.
"Pieks, Hähnchen, was ist denn los?", fragte die Nadel.
"Und warum seid ihr so betrübt?", fragte die Stecknadel.
Das Hähnchen erzählte wieder seine traurige Geschichte.
"Oh je, oh je!", sagten Nadel und Stecknadel. "Wir wollen auch mit!" Und so kletterten auch sie auf den Wagen.
Als Nächstes rollte ihnen ein Ei entgegen. "Hoppla, Hähnchen!", rief das Ei. "Was für eine traurige Gesellschaft auf dem Wagen!"
Das Hähnchen erzählte auch dem Ei, was passiert war. Das Ei war ganz erschrocken.
"Ich komme mit, um das Hühnchen zu betrauern!", sagte es und hüpfte vorsichtig auf den Wagen.
Zuletzt trafen sie einen dicken, runden Mühlstein. "Rumms, Hähnchen, was schleppst du da Schweres?", brummte der Mühlstein.
Als er die Geschichte hörte, wurde auch er ganz traurig. "Ich komme mit", sagte der Mühlstein und mit viel Mühe hievten sie ihn auch noch auf den Wagen. Der Wagen ächzte und krächzte unter der Last.
So zogen sie alle zusammen weiter, bis sie an einen Bach kamen. Der Bach war breit und es gab keine Brücke. "Was nun?", fragten alle.
Da sagte der Mühlstein: "Ich bin stark und schwer. Ich lege mich einfach quer über den Bach, dann könnt ihr über mich hinübergehen."
Gesagt, getan. Der Mühlstein legte sich in den Bach. Das Hähnchen zog den Wagen mit dem toten Hühnchen, der Ente, der Nadel, der Stecknadel und dem Ei vorsichtig über den Mühlstein ans andere Ufer.
Alle waren sicher drüben. Nur der Mühlstein lag noch im Wasser. Er wollte sich aufrichten, aber er war so schwer, dass er immer tiefer sank. Platsch! Da war er im Wasser verschwunden und ertrunken.
Nun war das Hähnchen noch trauriger. Nicht nur sein Hühnchen war tot, sondern auch der gute Mühlstein. Es grub ein tiefes Loch und legte das Hühnchen hinein. Dann setzte es sich auf das Grab, weinte und trauerte so lange, bis es vor lauter Kummer selbst nicht mehr leben konnte und auch starb. Und so waren alle Freunde am Ende wieder zusammen, aber auf eine sehr traurige Weise.
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