Die Sonnenkugel
Andersens Märchen
Stellt euch vor, tief unten in einem alten, grauen Turm saß ein Mann. Er war ganz allein und ein bisschen traurig, denn die Tür war fest verschlossen und das Fenster winzig klein. Kaum ein Lichtstrahl verirrte sich dorthin.
Eines Tages, was entdeckte er da in einer Mauerritze? Ein winziges, grünes Pflänzchen! Es hatte sich ganz mutig durch den Stein gekämpft. Der Mann freute sich. Endlich war da etwas Lebendiges bei ihm! Er nannte es seinen kleinen grünen Freund.
Und dann, an einem sonnigen Morgen, schlich sich ein goldener Sonnenstrahl durch das kleine Fenster. Pieks! Genau auf das Pflänzchen. Es war nur ein ganz dünner Strahl, aber er leuchtete so hell und warm. Das Pflänzchen schien zu lächeln und reckte seine Blättchen dem Licht entgegen.
Der Mann passte gut auf seinen neuen Freund auf. Er gab ihm von seinem wenigen Wasser ein paar Tropfen ab und sprach leise mit ihm. Jeden Tag wartete er gespannt auf den Sonnenstrahl. Und pünktlich kam er und tanzte für eine Weile auf dem Pflänzchen. Unter seiner Wärme wuchs es jeden Tag ein kleines bisschen mehr.
Es bekam sogar eine kleine Knospe. Oh, wie aufgeregt der Mann war! Bald würde eine Blume blühen, hier in seinem dunklen Turmzimmer! Er stellte sich vor, wie bunt sie sein würde.
Doch das Leben im Turm war schwer, und das Pflänzchen war zart. Bevor die Knospe sich ganz öffnen konnte, wurde das Pflänzchen müde und ließ seine Blätter hängen. Es wurde schwächer und schwächer. Der Mann war sehr, sehr traurig. Sein kleiner grüner Freund war nicht mehr da.
Aber wisst ihr was? Der Sonnenstrahl kam trotzdem jeden Tag. Er schien auf die leere Stelle, wo das Pflänzchen gewesen war. Und jedes Mal, wenn der Mann den Sonnenstrahl sah, dachte er an sein Pflänzchen und an die Freude und die Hoffnung, die es ihm gebracht hatte. Es war, als ob ein kleines bisschen Wärme und Licht immer noch da war, warm und hell wie der Sonnenstrahl selbst, der ihn nie vergaß.
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