• Versteckt ist nicht vergessen

    Andersens Märchen
    Stellt euch ein gemütliches Zimmer vor. Darin sitzt ein kleines Mädchen namens Ida und schaut traurig auf ihre Blumen.
    "Meine armen Blumen!", seufzte Ida. "Gestern waren sie noch so frisch und bunt, und heute lassen sie alle ihre Köpfchen hängen."
    "Keine Sorge, Ida", sagte ein freundlicher Student, der gerade zu Besuch war. "Deine Blumen sind nicht einfach nur müde. Sie waren heute Nacht auf einem großen Ball!"
    "Auf einem Ball?", fragte Ida mit großen Augen. "Wo denn?"
    "Na, im Schloss vom König!", lachte der Student. "Wenn alle Menschen schlafen, schleichen sich die Blumen heimlich davon und tanzen die ganze Nacht im prächtigen Ballsaal. Die schönsten Rosen und Tulpen, ja sogar die Gänseblümchen, alle sind sie dabei!"
    Ida konnte sich das richtig gut vorstellen. Sie nahm ihre Lieblingspuppe, Sophie, aus ihrem Puppenbettchen. Dann legte sie die welken Blumen vorsichtig hinein. "Schlaft schön, ihr lieben Tänzerinnen", flüsterte sie. "Träumt süß vom Ball."
    Ein alter, brummiger Herr, der Kanzleirat, saß am Fenster und hatte alles mitangehört. "So ein Quatsch!", murmelte er und schüttelte den Kopf. "Blumen können doch nicht tanzen! Setz dem Kind keine solchen dummen Ideen in den Kopf, junger Mann!" Der Kanzleirat mochte keine Fantasiegeschichten.
    Aber Ida hörte nicht auf den Kanzleirat. In dieser Nacht hatte sie einen wunderschönen Traum. Sie sah, wie ihre Blumen leise aus Sophies Bettchen kletterten. Die Tulpen und Rosen, ja sogar die kleinen Gänseblümchen, machten eine Polonaise durch das Zimmer. Sie lachten und wirbelten herum, und Sophie, die Puppe, stand auf und tanzte fröhlich mit ihnen. Es war ein herrliches Fest!
    Am nächsten Morgen sahen die Blumen immer noch sehr müde aus. "Sie müssen vom vielen Tanzen ganz erschöpft sein", dachte Ida. Sie trug sie vorsichtig in den Garten. Dort, unter einem großen Rosenbusch, grub sie ein kleines, feines Bettchen in die Erde.
    "Hier könnt ihr euch richtig gut ausruhen", sagte sie sanft und legte die Blumen hinein. Sie deckte sie mit ein wenig Erde zu. "Und wer weiß, vielleicht wacht ihr im Frühling wieder auf und blüht dann noch viel schöner als zuvor. Denn auch wenn man etwas versteckt, ist es ja nicht vergessen."
    Und Ida freute sich schon auf den nächsten Frühling und auf all die neuen Blumen, die vielleicht aus ihrem kleinen Versteck wachsen würden.

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