Der Bau der Mauern von Asgard
Nordische Mythologie
In Asgard, dem prächtigen Reich der Götter hoch oben in den Wolken, war es meistens fröhlich und hell. Aber Odin, der oberste Gott, machte sich Sorgen. "Wir brauchen eine starke Mauer um unsere Stadt", sagte er zu den anderen Göttern, "damit uns keine frechen Riesen ärgern können!"
Die anderen Götter, wie der starke Thor mit seinem Hammer und die schöne Freya, nickten zustimmend. Aber wer sollte so eine riesige Mauer bauen?
Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand ein fremder Mann vor ihnen. Er war groß und hatte einen langen Bart. "Ich kann euch eine Mauer bauen", sagte er mit tiefer Stimme. "Eine Mauer so stark, dass kein Riese sie je durchbrechen kann. Und ich baue sie euch in nur einem Winter!"
Die Götter staunten. "In nur einem Winter?", fragte Odin. "Das ist ja unglaublich schnell! Was willst du dafür haben?"
Der Fremde lächelte verschmitzt. "Nicht viel", sagte er. "Nur die Sonne, den Mond und die schöne Göttin Freya als meine Frau."
Da wurden die Götter ganz blass. Freya sollte er bekommen? Niemals! Und Sonne und Mond auch noch? Dann wäre es ja immer dunkel und kalt! "Das ist zu viel!", rief Thor.
Aber Loki, der listige Gott, der immer für einen Streich zu haben war, flüsterte Odin ins Ohr: "Pst, Odin! Das schafft der doch nie in einem Winter! Lass ihn anfangen. Wenn er es nicht schafft, bekommt er auch nichts."
Odin dachte nach. Loki hatte vielleicht recht. "Gut", sagte Odin zu dem Fremden. "Du darfst die Mauer bauen. Aber wenn sie nicht bis zum ersten Sommertag fertig ist, bekommst du nichts! Und du darfst dir von niemandem helfen lassen, außer von deinem Pferd."
Der Fremde nickte. "Abgemacht!" Er pfiff, und ein riesiges, starkes Pferd namens Svaðilfari trabte herbei. Es war so stark, es konnte die größten Felsbrocken ziehen, als wären sie Kieselsteine.
Und so begannen der Baumeister und sein Pferd Svaðilfari mit der Arbeit. Tag und Nacht schleppte Svaðilfari riesige Steine, und der Baumeister setzte sie zu einer gewaltigen Mauer zusammen. Die Mauer wuchs und wuchs, und die Götter wurden immer nervöser. Der Winter war bald vorbei, und es sah so aus, als würde der Baumeister es tatsächlich schaffen!
"Oh nein!", jammerte Freya. "Ich will nicht mit ihm gehen!"
Die Götter schauten sich ratlos an. "Loki!", rief Odin zornig. "Das ist deine Schuld! Du hast gesagt, er schafft es nicht! Du musst das wieder in Ordnung bringen, sonst..."
Loki bekam ein bisschen Angst. Er dachte angestrengt nach. Und dann hatte er eine Idee – eine sehr listige Idee, wie immer.
In der nächsten Nacht, als Svaðilfari gerade einen besonders schweren Steinblock zog, tänzelte plötzlich eine wunderschöne, schneeweiße Stute aus dem Wald. Sie wieherte lieblich und schaute Svaðilfari mit großen Augen an.
Svaðilfari vergaß sofort den Steinblock. So eine hübsche Stute hatte er noch nie gesehen! Er ließ den Stein fallen und rannte der Stute hinterher, die spielerisch in den Wald galoppierte. Der Baumeister rief und schimpfte, aber Svaðilfari hörte nicht. Er war bis über beide Ohren verliebt und jagte der Stute nach.
Ohne sein starkes Pferd konnte der Baumeister die letzten Steine nicht mehr rechtzeitig auf die Mauer setzen. Als der erste Sonnenstrahl des Sommers über die Berge lugte, war die Mauer immer noch nicht ganz fertig!
"Du hast es nicht geschafft!", rief Odin triumphierend.
Da wurde der Baumeister so wütend, dass er riesengroß wurde und brüllte – denn er war in Wirklichkeit ein verkleideter Riese! "Ihr habt mich betrogen!", schrie er.
Aber da kam schon Thor mit seinem Hammer Mjölnir angeflogen. Einmal kräftig geschwungen, und der Riese war kein Problem mehr für Asgard.
Und die listige Stute? Das war natürlich Loki gewesen, der sich verwandelt hatte! Einige Zeit später kam Loki zurück nach Asgard. Und er hatte ein kleines Geschenk dabei: ein Fohlen mit acht Beinen! Es war das Kind von Svaðilfari und Loki (als Stute). Dieses achtbeinige Pferd hieß Sleipnir und wurde später Odins treues und schnellstes Reittier.
So bekam Asgard seine starke Mauer, Freya musste nicht heiraten, und Odin bekam das tollste Pferd der Welt. Und alles nur, weil Loki mal wieder einen schlauen, wenn auch etwas verrückten, Plan hatte.
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