• Der Kuhhirte und die Weberin

    Chinesische Mythologie
    Hoch oben im Himmel, wo die Sterne wie Diamanten glitzern, lebte einst ein mächtiger Himmelskönig. Er hatte eine wunderschöne Enkelin, die Zhi Nü hieß. Zhi Nü war eine himmlische Weberin und konnte die allerschönsten Wolken und Stoffe weben, so zart und bunt wie ein Regenbogen.

    Unten auf der Erde, in einem kleinen Dorf, lebte ein junger Mann namens Niu Lang. Er war ein einfacher Kuhhirte und hatte niemanden auf der Welt außer seinem alten, treuen Wasserbüffel. Der Büffel war aber kein gewöhnlicher Büffel – er konnte sprechen, aber das wusste nur Niu Lang.

    Eines heißen Sommertages sagte der Büffel zu Niu Lang: "Mein lieber Niu Lang, heute ist ein besonderer Tag. Geh zum See im Wald. Dort baden die Himmelsfeen. Wenn du die Kleider der Fee mit den glänzendsten Gewändern versteckst, wird sie deine Frau werden."

    Niu Lang war neugierig und ein bisschen aufgeregt. Er ging zum See und tatsächlich, da planschten und lachten mehrere wunderschöne Feen im Wasser. Ihre bunten Seidengewänder lagen am Ufer. Niu Lang schlich sich leise an und nahm die Kleider, die am hellsten leuchteten – es waren die von Zhi Nü.

    Als die Feen mit dem Baden fertig waren und aus dem Wasser stiegen, fand Zhi Nü ihre Kleider nicht. Ihre Schwestern flogen schnell zurück in den Himmel, aber Zhi Nü konnte ohne ihre Himmelskleider nicht mit. Sie war ganz allein und traurig. Da trat Niu Lang aus seinem Versteck hervor. Er gab ihr die Kleider nicht sofort zurück, sondern sprach freundlich mit ihr. Zhi Nü fand den ehrlichen Kuhhirten sympathisch, und Niu Lang war hingerissen von der sanften Weberfee. Sie verliebten sich, heirateten und bekamen bald zwei süße Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Sie lebten glücklich zusammen auf der Erde, und Zhi Nü vergaß fast den Himmel.

    Aber der Himmelskönig und die Himmelskönigin im Himmelspalast hatten bemerkt, dass Zhi Nü fehlte. Als sie herausfanden, dass sie einen Menschen geheiratet hatte, wurde die Himmelskönigin sehr zornig. Sie schickte ihre himmlischen Soldaten zur Erde, um Zhi Nü zurückzuholen.

    Zhi Nü musste Abschied nehmen von Niu Lang und ihren Kindern. Ihr Herz brach vor Kummer, als sie in den Himmel zurückgetragen wurde. Niu Lang war verzweifelt. Da sprach sein alter Büffel ein letztes Mal zu ihm: "Niu Lang, ich werde bald sterben. Wenn es so weit ist, zieh mir meine Haut ab. Sie wird dich und die Kinder in den Himmel tragen können."

    Traurig tat Niu Lang, wie ihm geheißen. Als der Büffel gestorben war, legte Niu Lang die Büffelhaut wie einen Umhang an, setzte seine beiden Kinder in zwei Körbe, die er an einer Stange über seine Schulter hängte, und flog so dem Himmel entgegen, Zhi Nü hinterher.

    Er kam ihr immer näher, doch da bemerkte ihn die Himmelskönigin. Schnell zog sie ihre goldene Haarnadel aus dem Haar und zog damit eine breite Linie quer über den Himmel. Sofort entstand ein reißender, silberner Fluss – die Milchstraße – der Niu Lang und Zhi Nü für immer trennen sollte.

    Niu Lang und Zhi Nü standen nun an den gegenüberliegenden Ufern des Himmelsflusses und weinten bitterlich. Ihre Kinder riefen nach ihrer Mutter. Ihre große Liebe und ihr Kummer rührten sogar die Elstern auf der Erde. Tausende und abertausende von Elstern flogen in den Himmel und bildeten mit ihren Körpern eine Brücke über die Milchstraße.

    Als der Himmelskönig das sah, war auch er gerührt. Er erlaubte Niu Lang und Zhi Nü, sich einmal im Jahr auf dieser Elsternbrücke zu treffen. Und so geschieht es bis heute: Jedes Jahr am siebten Tag des siebten Monats nach dem Mondkalender kommen die Elstern und bauen ihre Brücke, damit die Liebenden für eine Nacht zusammen sein können. Und wenn es an diesem Tag regnet, sagen die Leute, das seien die Freudentränen von Niu Lang und Zhi Nü.

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