• Einem Ochsen auf der Laute vorspielen

    Chinesische Fabeln
    Stellt euch vor, auf einer saftig grünen Wiese, wo die Blümchen bunt leuchteten und die Bienen summten, stand eine dicke, zufriedene Kuh. Sie kaute genüsslich ihr Gras und dachte an nichts Besonderes.

    Nicht weit davon entfernt kam ein Mann namens Gongming Yi vorbei. Gongming Yi war ein ganz berühmter Musiker und trug seine geliebte Laute, ein Instrument, das ein bisschen wie eine Gitarre aussieht, immer bei sich. Als er die Kuh so friedlich grasen sah, dachte er: "Ach, was für ein schönes Tier! Ich möchte ihr gerne meine wunderbare Musik vorspielen."

    Also setzte sich Gongming Yi ins Gras, stimmte seine Laute und begann, die allerschönsten Melodien zu spielen. Es waren Lieder, die Könige und Prinzessinnen liebten, so fein und kunstvoll, dass die Vögel in den Bäumen still wurden, um zuzuhören. Die Töne tanzten durch die Luft wie Schmetterlinge.

    Und die Kuh? Die Kuh mampfte unbeeindruckt weiter. Sie hob nicht einmal den Kopf. Ein Grashalm hier, ein Grashalm da. Die wunderschöne Musik schien sie überhaupt nicht zu interessieren.

    Gongming Yi war ein bisschen verwirrt. "Hmm," dachte er, "vielleicht mag sie diese Art von Musik nicht. Sie versteht sie vielleicht einfach nicht." Er überlegte kurz. "Was für Geräusche mag eine Kuh denn gerne hören?"

    Da hatte er eine Idee! Er nahm seine Laute und versuchte, ganz andere Töne zu spielen. Zuerst machte er ein Geräusch, das klang wie das Summen von vielen Mücken, die um die Ohren einer Kuh schwirren. Dann ahmte er das Brummen einer dicken Bremse nach, die vielleicht stechen will. Und schließlich spielte er Töne, die ein bisschen so klangen wie das leise Muhen eines kleinen Kälbchens, das seine Mama sucht.

    Und was passierte? Plötzlich hob die Kuh den Kopf! Sie spitzte die Ohren. Sie wedelte aufgeregt mit dem Schwanz hin und her, als wollte sie die Mücken verscheuchen. Sie schaute sich um, als suchte sie das Kälbchen. Sie bewegte sich sogar ein wenig hin und her und lauschte aufmerksam diesen seltsamen, aber für sie verständlichen Klängen.

    Da musste Gongming Yi lächeln. Er verstand: Nicht jede Musik ist für jeden gleich schön oder verständlich. Manchmal muss man die richtige "Sprache" finden, damit andere zuhören und verstehen, was man ihnen sagen möchte. Und für die Kuh waren eben Mückensummen und Kälbchenmuhen viel spannender als die feinste Palastmusik.

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