• Das Mädchen ohne Hände

    Grimms Märchen
    Ein Müller war sehr arm, so arm, dass er kaum noch wusste, wie er seine Familie ernähren sollte. Eines Tages traf er im Wald einen seltsamen Mann mit einem langen grauen Bart. Der Mann sagte: "Ich kann dich reich machen! Gib mir einfach das, was hinter deiner Mühle steht." Der Müller dachte sofort an seinen alten Apfelbaum hinter der Mühle und sagte schnell: "Ja, das mache ich!"

    Doch als er nach Hause kam, sah er seine wunderschöne Tochter hinter der Mühle stehen und den Hof fegen. Da erschrak der Müller sehr, denn er hatte dem seltsamen Mann seine eigene Tochter versprochen!

    Drei Jahre später, als der Müller reich geworden war, kam der seltsame Mann, um das Mädchen zu holen. Aber das Mädchen war so gut und fromm, es hatte sich gewaschen und einen Kreidekreis um sich gezogen, sodass der Mann nicht an sie herankam. Wütend sagte der Mann zum Müller: "Sie darf sich nicht mehr waschen, sonst kann ich sie nicht holen!" Aber das Mädchen weinte auf seine Hände, sodass sie immer sauber blieben.

    Da wurde der Mann noch wütender und befahl dem Müller: "Hau ihr die Hände ab, sonst nehme ich dich mit!" Der Müller war voller Angst und bat seine Tochter um Verzeihung. Schweren Herzens tat er, was der böse Mann verlangte. Das Mädchen weinte bitterlich auf die Wunden, und sie wurden wieder ganz rein. Nun konnte der seltsame Mann ihr erst recht nichts anhaben und musste zornig verschwinden.

    Das Mädchen aber sagte zu seinem Vater: "Ich kann nicht hierbleiben, wo mir so viel Leid geschehen ist. Ich muss in die Welt hinaus." Obwohl der Vater sie bat zu bleiben, band sie sich die Arme fest zu und wanderte fort.

    Sie lief und lief, bis sie hungrig zu einem königlichen Garten kam, voller köstlicher Birnen. Ein freundlicher Engel stand am Tor und winkte sie herein. Mit dem Mund pflückte sie vorsichtig eine Birne vom Baum und aß sie. Der König, dem der Garten gehörte, sah am nächsten Tag, dass eine Birne fehlte. Der Gärtner erzählte ihm von dem Mädchen ohne Hände.

    Der König versteckte sich und sah das Mädchen kommen. Er fand sie so schön und gutherzig, dass er sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle. Das Mädchen sagte ja. Der König ließ ihr kunstvolle Hände aus reinem Silber anfertigen und sie heirateten mit einem großen Fest.

    Nach einem Jahr musste der König in den Krieg ziehen. Während er fort war, bekam die Königin einen gesunden kleinen Jungen. Die Königsmutter schickte sofort einen Boten mit der frohen Nachricht zum König. Aber unterwegs schlief der Bote ein, und der böse Mann, der immer noch auf Rache sann, vertauschte den Brief. In dem neuen Brief stand, die Königin hätte ein Ungeheuer zur Welt gebracht.

    Der König erschrak sehr, aber er liebte seine Frau. Er schickte einen Brief zurück, man solle gut auf die Königin und das Kind aufpassen. Wieder fing der böse Mann den Brief ab und schrieb hinein, der König befehle, die Königin und das Kind zu töten.

    Die alte Königsmutter konnte das nicht übers Herz bringen. Sie schickte die junge Königin mit ihrem Söhnchen heimlich in den tiefen Wald. Dort fanden sie eine kleine Hütte, in der ein Engel wohnte. Der Engel sorgte gut für sie. Weil die Königin immer so gut und geduldig war, geschah ein Wunder: Ihre Hände wuchsen wieder nach, ganz gesund und heil! Sieben Jahre lebten sie so im Wald.

    Der König kam endlich aus dem Krieg zurück. Als er hörte, was geschehen war, war er untröstlich und suchte überall nach seiner Frau und seinem Kind. Nach sieben langen Jahren fand er endlich die Hütte im Wald. Wie groß war seine Freude, als er seine liebe Frau mit gesunden Händen und seinen inzwischen großen Sohn wiederfand!

    Sie kehrten alle zusammen ins Schloss zurück, feierten ein noch größeres Fest, und lebten von nun an glücklich und zufrieden zusammen.

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