• Der Wolf und der Hund

    Äsopische Fabeln
    In einem großen Wald, wo die Bäume bis in den Himmel zu wachsen schienen, lebte ein Wolf. Er war sehr, sehr hungrig und sein Bauch knurrte lauter als ein Gewitter. Jeden Tag suchte er nach Futter, aber oft fand er nur sehr wenig.

    Eines Tages, als er wieder einmal mit knurrendem Magen durch den Wald schlich, traf er einen Hund. Oh, dieser Hund sah ganz anders aus als der Wolf! Er war rund und glücklich, sein Fell glänzte wie Seide, und er wedelte vergnügt mit dem Schwanz.

    Der Wolf staunte. "Du siehst ja fantastisch aus!", rief er. "Wie schaffst du es, so gut genährt zu sein, während ich kaum einen Bissen finde?"

    Der Hund lachte. "Das ist ganz leicht", sagte er. "Ich lebe bei Menschen. Ich bewache ihr Haus, spiele mit den Kindern und dafür geben sie mir jeden Tag leckeres Futter, ein weiches Körbchen und viele liebevolle Streicheleinheiten."

    "Das klingt ja traumhaft!", dachte der Wolf. "So ein Leben hätte ich auch gern." Er kam näher. "Aber sag mal, was ist das für ein komischer Ring um deinen Hals? Dein Fell ist dort ganz abgewetzt."

    Der Hund zögerte kurz. "Ach, das? Das ist nur von meinem Halsband und der Leine. Manchmal binden sie mich an, damit ich nicht weglaufe und immer schön brav bleibe."

    "Angebunden?", wiederholte der Wolf und seine Ohren zuckten. "Du kannst also nicht rennen und springen, wann und wo du willst?"

    "Nicht immer", gab der Hund zu. "Aber dafür habe ich es warm und sicher."

    Der Wolf trat einen Schritt zurück. "Ein warmes Plätzchen und ein voller Bauch sind sicher schön", sagte er nachdenklich. "Aber meine Freiheit, durch den Wald zu streifen, wann immer mir danach ist, die ist mir lieber. Leb wohl!"

    Und mit diesen Worten verschwand der Wolf wieder zwischen den Bäumen, hungrig vielleicht, aber frei.

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