Das Rätsel
Grimms Märchen
Kennt ihr die Geschichte von der wunderschönen, aber oho, ganz schön stolzen Prinzessin? Sie wohnte in einem prächtigen Schloss und hatte eine sehr besondere Regel aufgestellt. Wer sie heiraten wollte, musste ihr ein Rätsel aufgeben, das sie auf keinen Fall lösen konnte. Wenn sie es aber doch erraten konnte, tja, dann musste der arme Mann traurig wieder nach Hause gehen. Schon viele kluge Männer hatten es versucht, aber die Prinzessin war blitzgescheit und fand fast immer die richtige Antwort heraus.
Eines Tages aber kam ein junger, fröhlicher Prinz zum Schloss geritten. Er hatte von der Prinzessin und ihrer seltsamen Regel gehört und dachte sich: „Das ist ja spannend! Das probiere ich aus!“ Er trat mutig vor die Prinzessin und sagte mit einem Lächeln: „Prinzessin, ich habe ein kniffliges Rätsel für dich!“
Die Prinzessin schaute ihn neugierig an. „Na schön“, sagte sie. „Du hast genau drei Tage Zeit. Wenn ich dein Rätsel in diesen drei Tagen nicht lösen kann, dann darfst du mich heiraten. Aber schaffe ich es, musst du leider wieder gehen!“ Der Prinz war einverstanden und erzählte ihr sein geheimnisvolles Rätsel. Es war wirklich nicht einfach!
Die Prinzessin dachte und dachte, aber die Lösung fiel ihr einfach nicht ein. Das Rätsel war zu verzwickt! In der ersten Nacht hatte sie eine Idee. Sie schickte heimlich eine ihrer Dienerinnen zum Zimmer des Prinzen. „Psst“, flüsterte die Prinzessin, „schleich dich rein und hör genau hin, ob er vielleicht im Schlaf etwas über das Rätsel verrät!“ Die Dienerin tat, wie ihr geheißen. Der Prinz aber merkte, dass jemand lauschte. Er tat so, als würde er schlafen, und murmelte nur einen ganz kleinen, verwirrenden Hinweis. Die Dienerin lief schnell zur Prinzessin zurück, aber der Hinweis half nicht viel.
In der zweiten Nacht war die Prinzessin immer noch ratlos. Wieder schickte sie eine Dienerin los. „Hör noch besser zu!“, befahl sie. Der Prinz war aber schlau! Er ahnte, was los war. Wieder tat er so, als würde er tief schlafen, und murmelte einen weiteren kleinen Hinweis, der aber auch nicht die ganze Lösung war. Die Dienerin erzählte es der Prinzessin, aber die wusste immer noch nicht die Antwort.
Jetzt wurde die Prinzessin aber wirklich ungeduldig. „Das kann doch nicht wahr sein!“, dachte sie. „In der dritten Nacht gehe ich selbst!“ Und so schlich sich die Prinzessin ganz leise in der Nacht in das Zimmer des Prinzen und versteckte sich hinter einem dicken Vorhang. Sie wollte unbedingt die Lösung hören!
Der Prinz war aber noch viel schlauer! Er hatte schon geahnt, dass die Prinzessin vielleicht selbst kommen würde. Er tat so, als würde er im Traum sprechen, und sagte plötzlich ganz laut und deutlich die richtige Antwort auf sein Rätsel! Dann murmelte er noch verschmitzt: „Das erzähle ich jetzt nur, weil ich glaube, dass da jemand ganz Besonderes hinter dem Vorhang lauscht!“
Die Prinzessin hörte alles! „Ha!“, dachte sie triumphierend. „Jetzt hab ich die Lösung! Er hat verloren!“ Sie huschte leise und zufrieden aus dem Zimmer.
Am nächsten Morgen versammelte sich der ganze Hof im großen Saal. Die Prinzessin trat strahlend vor den Prinzen. „Ich weiß die Antwort auf dein Rätsel!“, rief sie stolz und sagte die Lösung, die sie in der Nacht gehört hatte. Alle Leute im Saal staunten, wie klug die Prinzessin war.
Der Prinz aber lächelte nur verschmitzt. „Moment mal, Prinzessin“, sagte er freundlich, aber bestimmt. „Das ist ja die richtige Antwort. Aber woher weißt du sie denn so genau? Hast du vielleicht ein bisschen... gelauscht?“
Dann erzählte der Prinz dem König und allen Anwesenden, wie die Prinzessin erst ihre Dienerinnen geschickt hatte und in der letzten Nacht sogar selbst in sein Zimmer geschlichen war, um die Lösung heimlich zu erfahren. „Das ist aber nicht ganz fair gespielt, oder?“, fragte der Prinz. „Ein Rätsel muss man ehrlich lösen, nicht durch Lauschen!“
Die Richter und der König hörten aufmerksam zu und nickten. „Der Prinz hat vollkommen Recht“, sagten sie. „Heimlich lauschen, das gilt nicht! Die Prinzessin hat das Rätsel nicht selbst gelöst.“
Die Prinzessin wurde ein bisschen rot im Gesicht, weil sie erwischt worden war. Sie musste zugeben, dass der Prinz nicht nur ein gutes Rätsel hatte, sondern auch sehr klug war und ihren Trick durchschaut hatte.
Und weil der Prinz so clever und ehrlich war und die Prinzessin auf faire Weise überlistet hatte, durfte er sie heiraten. Und vielleicht hat die stolze Prinzessin an diesem Tag gelernt, dass Klugheit und Ehrlichkeit viel wichtiger sind, als immer nur gewinnen zu wollen. Und wer weiß, vielleicht wurden sie ja ein richtig gutes Team!
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