Der Teekessel
Andersens Märchen
Auf einem sonnigen Frühstückstisch stand eine Teekanne aus feinstem Porzellan. Sie war sehr stolz auf sich, obwohl ihr Deckel ein ganz klein wenig wackelte. Das war ihr kleines Geheimnis. Sie hielt sich für viel vornehmer als die Zuckerdose, die immer so süß tat, und das Milchkännchen, das oft ein bisschen kleckerte. Die Tassen bewunderte sie nur, wenn sie mit heißem Tee gefüllt waren, den sie selbst gespendet hatte.
Jeden Nachmittag durfte sie den duftenden Tee für die Familie und manchmal sogar für wichtige Gäste servieren. Oh, wie sie das genoss und sich dabei aufplusterte! Sie liebte es, im Mittelpunkt zu stehen und den warmen, aromatischen Dampf aus ihrem Ausguss steigen zu sehen.
Doch eines Tages, als eine etwas ungeschickte Hand nach ihr griff, passierte es: KLIRR! Die Teekanne fiel zu Boden. Ihr schöner Ausguss brach ab und der Henkel zerbrach in tausend Stücke. Nur der Bauch und der wackelige Deckel blieben einigermaßen heil.
So landete die einst so stolze Teekanne traurig und vergessen in einer Ecke des Gartens. Die anderen Küchenutensilien sprachen nicht mehr von ihr. „Ach“, seufzte sie, „jetzt bin ich zu nichts mehr nütze.“ Sie dachte oft an die glänzenden Zeiten zurück, als sie im Mittelpunkt stand und alle sie bewunderten. Regen und Staub bedeckten sie, und sie fühlte sich sehr einsam.
Aber dann, eines Frühlings, kam ein kleines Mädchen in den Garten. Es sah die kaputte Teekanne. „Oh, die ist doch viel zu schade zum Wegwerfen!“, rief es und hatte eine wunderbare Idee. Das Mädchen nahm die Teekanne vorsichtig mit, reinigte sie und füllte Erde in ihren Bauch. Dann pflanzte es vorsichtig eine kleine Blumenzwiebel hinein.
Die Teekanne spürte, wie neues Leben in ihr erwachte. Bald schon reckte sich ein grüner Keim aus der Erde, und nicht lange danach erblühte eine wunderschöne, leuchtend rote Tulpe direkt aus ihrem Inneren. Der wackelige Deckel lag daneben wie ein kleiner Hut.
Die Teekanne war überglücklich. Sie war zwar nicht mehr perfekt und konnte keinen Tee mehr servieren, aber sie war nun das Zuhause für eine herrliche Blume und brachte allen, die sie sahen, Freude. Kinder zeigten auf sie und lachten, und die Bienen summten um die Tulpe herum.
Und sie verstand: Es ist nicht wichtig, perfekt zu sein oder immer im Mittelpunkt zu stehen. Viel wichtiger ist es, Freude zu bereiten und nützlich zu sein, auf welche Weise auch immer. Und so stand die Teekanne glücklich im Garten, mit einer Blume im Bauch, und war zufriedener als je zuvor in ihrem Leben.
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