• Amor und Psyche

    Römische Mythologie
    Stellt euch vor, es gab einmal eine wunderschöne Prinzessin namens Psyche. Sie war so unglaublich hübsch, dass die Leute sagten, sie sei noch schöner als Venus, die Göttin der Liebe und Schönheit selbst! Venus war darüber natürlich gar nicht erfreut. Sie wurde richtig eifersüchtig und rief ihren Sohn, den kleinen Amor. Amor war der Gott der Liebe und hatte Pfeile, die jeden, den sie trafen, verliebt machten.

    Venus sagte zu Amor: „Geh und sorge dafür, dass sich diese Psyche in das hässlichste und grässlichste Wesen auf der ganzen Welt verliebt!“ Amor nickte und flog los, um den Befehl seiner Mutter auszuführen. Aber als er Psyche sah, war er so überwältigt von ihrer Schönheit, dass er sich aus Versehen selbst mit einem seiner Liebespfeile piekste! Und schwupps – war er unsterblich in Psyche verliebt.

    Psyches Eltern machten sich Sorgen, denn obwohl Psyche so schön war, wollte kein Prinz sie heiraten. Sie fragten ein Orakel um Rat. Das Orakel sagte etwas Schreckliches: Psyche sei dazu bestimmt, ein furchtbares, geflügeltes Ungeheuer auf einem Berggipfel zu heiraten. Traurig brachten ihre Eltern Psyche auf den Berg und ließen sie dort allein.

    Psyche weinte, aber plötzlich kam ein sanfter Wind, der Westwind Zephyr, und trug sie sachte zu einem wunderschönen Palast. Im Palast gab es alles, was sie sich wünschen konnte, aber sie sah niemanden. In der Nacht kam ihr geheimnisvoller Ehemann zu ihr. Er war sehr lieb, aber er sagte, sie dürfe ihn niemals ansehen. Wenn sie es täte, würde er sie für immer verlassen müssen.

    Psyche war eine Weile glücklich, aber sie vermisste ihre Schwestern. Ihr Mann erlaubte ihnen, sie zu besuchen. Die Schwestern waren aber neidisch auf Psyches prächtigen Palast und ihr Glück. Sie redeten Psyche ein, ihr Mann müsse ein schreckliches Monster sein, weil er sich nicht zeigen wollte. „Du musst ihn dir ansehen, wenn er schläft!“, flüsterten sie.

    In dieser Nacht, als ihr Mann schlief, nahm Psyche zitternd eine Öllampe und ein Messer, falls er wirklich ein Monster wäre. Aber als das Licht auf sein Gesicht fiel, sah sie keinen Unhold, sondern den wunderschönen Amor! Er war so schön, dass sie vor Staunen zitterte. Dabei tropfte ein heißes Öltröpfchen von der Lampe auf Amors Schulter.

    Amor wachte erschrocken auf. Er sah die Lampe und Psyches Gesicht und wusste, dass sie sein Geheimnis entdeckt hatte. Traurig sagte er: „Ich habe dir vertraut, aber du hast mir nicht vertraut.“ Und mit diesen Worten flog er davon.

    Psyche war untröstlich. Sie wanderte umher und suchte Amor überall. Schließlich kam sie zum Palast von Venus und bat um Hilfe. Venus, immer noch wütend, gab Psyche vier schier unlösbare Aufgaben, um zu beweisen, dass sie Amors Liebe wert war.

    Zuerst musste sie einen riesigen Haufen verschiedener Körner – Weizen, Gerste, Mohnsamen und Linsen – bis zum Abend sortieren. Psyche war verzweifelt, aber da kamen viele kleine Ameisen und halfen ihr, die Körner zu trennen.

    Als Nächstes sollte sie goldene Wolle von gefährlichen, wilden Schafen holen. Ein Schilfrohr am Flussufer flüsterte ihr zu, sie solle warten, bis die Schafe sich an den Büschen gerieben hätten, und dann die Wolle von den Zweigen sammeln. Das tat Psyche und brachte Venus die goldene Wolle.

    Die dritte Aufgabe war, Wasser aus der Quelle des Flusses Styx zu holen, der von gefährlichen Drachen bewacht wurde. Als Psyche nicht weiterwusste, kam ein großer Adler, der Vogel des Gottes Jupiter, nahm ihren Krug und füllte ihn mit dem Wasser.

    Die letzte und schwierigste Aufgabe war, in die Unterwelt zu gehen und von Proserpina, der Königin der Unterwelt, eine Büchse mit Schönheitssalbe zu holen. Venus warnte sie, die Büchse auf keinen Fall zu öffnen. Psyche schaffte es, die Büchse zu bekommen. Aber auf dem Rückweg wurde sie so neugierig, was wohl in der Büchse sei, dass sie sie öffnete. Heraus kam aber keine Schönheit, sondern ein tiefer, todesähnlicher Schlaf, der Psyche überfiel.

    Inzwischen war Amors Wunde von dem heißen Öl geheilt. Er hatte Psyche so sehr vermisst! Er fand sie schlafend am Wegesrand. Sanft weckte er sie mit der Spitze seines Pfeils. Dann flog er schnell zu Jupiter, dem König der Götter, und bat ihn, ihm und Psyche zu helfen.

    Jupiter hörte sich alles an und hatte Mitleid. Er rief alle Götter zusammen und verkündete, dass Amor und Psyche heiraten dürften. Er gab Psyche einen Becher mit Ambrosia, dem Göttertrank, zu trinken, und so wurde sie unsterblich.

    Venus war nun auch besänftigt. Es gab eine große Hochzeitsfeier im Himmel, und alle freuten sich. Bald darauf bekamen Amor und Psyche eine kleine Tochter, die sie Voluptas nannten, was „Freude“ bedeutet. Und so lebten sie glücklich und zufrieden zusammen.

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