Aus einer Eisenstange wird eine Nadel
Chinesische Fabeln
Stellt euch vor, es gab da mal einen Jungen namens Li Bai. Er war ein aufgeweckter Kerl, aber die Schule fand er gähnend langweilig. Viel lieber tollte er draußen herum und jagte Schmetterlingen nach.
Eines Tages, als die Sonne besonders schön vom Himmel lachte, dachte sich Li Bai: "Ach, die Schule kann warten!" Und schwups, war er auch schon unterwegs zum Fluss, um Abenteuer zu suchen.
Am Ufer des Flusses sah er eine alte Frau. Sie hockte da und machte etwas ganz Merkwürdiges. Sie rieb eine dicke, dicke Eisenstange an einem großen, flachen Stein. Hin und her, hin und her.
Li Bai war neugierig. "Hallo, liebe Omi", rief er. "Was machst du denn da Komisches?"
Die alte Frau lächelte ihn freundlich an. "Ich mache eine Nadel daraus, mein Junge."
Li Bai musste kichern. "Eine Nadel? Aus dieser riesigen Eisenstange? Das ist doch unmöglich! Das dauert ja ewig!"
Die alte Frau nickte geduldig. "Ja, es dauert lange. Aber wenn man jeden Tag ein bisschen daran reibt und nicht aufgibt, wird auch aus einer dicken Eisenstange irgendwann eine feine Nadel. Man braucht nur Geduld und Ausdauer."
Li Bai wurde ganz still. Er dachte über die Worte der alten Frau nach. Wenn diese Frau so viel Geduld hatte, eine Nadel aus einer Eisenstange zu machen, dann konnte er doch auch ein bisschen mehr Geduld beim Lernen haben. Vielleicht war Lernen ja gar nicht so schlimm, wenn man dranblieb.
Plötzlich schien ihm die Schule gar nicht mehr so langweilig. Er bedankte sich bei der alten Frau für ihre weisen Worte und rannte so schnell er konnte zurück zur Schule.
Von diesem Tag an lernte Li Bai fleißig und mit viel Ausdauer. Und wisst ihr was? Er wurde später ein ganz berühmter Dichter in China, den die Leute heute noch kennen und lieben. Alles nur, weil er von der alten Frau gelernt hatte, dass man mit Geduld und Fleiß fast alles schaffen kann – sogar eine Nadel aus einer Eisenstange.
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