• Der Geist im Glas

    Grimms Märchen
    In einem gemütlichen kleinen Haus am Rande eines großen Waldes lebte ein Holzhacker mit seinem Sohn. Der Sohn war ein kluger Kopf und wollte unbedingt zur Schule gehen und viel lernen. Aber ach, der Holzhacker war arm und seufzte: "Mein lieber Junge, ich habe nicht genug Geld dafür."

    Eines Tages sagte der Junge: "Vater, ich gehe in den Wald und helfe dir Holz hacken. Vielleicht können wir so etwas sparen." Gesagt, getan. Der Junge nahm seine Axt und ging in den tiefen Wald.

    Als er mittags sein Brot aß, hörte er plötzlich eine feine Stimme rufen: "Lass mich raus! Lass mich hier raus!" Der Junge schaute sich um. Wo kam das denn her? Wieder rief es: "Hier unten, bei der großen Eiche! Lass mich raus!"

    Neugierig ging der Junge zu der dicken Eiche und begann, zwischen den Wurzeln zu graben. Und tatsächlich! Da lag eine kleine, fest verschlossene Glasflasche. In der Flasche zappelte etwas Dunkles.

    "Bist du das, der da ruft?", fragte der Junge.
    "Ja, ja, mach schnell auf!", quäkte es aus der Flasche.
    Der Junge zog den Korken heraus. Zuerst kam ein bisschen Rauch, dann quoll immer mehr Rauch heraus, und plötzlich stand ein riesiger Geist vor ihm, so groß wie ein Baum!
    "Ha!", donnerte der Geist. "Endlich frei! Und jetzt, du kleiner Wicht, werde ich dich für meine lange Gefangenschaft bestrafen!"

    Der Junge bekam einen Schreck, aber er war nicht dumm. Er sagte ganz frech: "Pah, du willst mich bestrafen? Du bist doch gar nicht der echte Geist aus der Flasche. So ein riesiger Kerl wie du passt doch niemals in dieses winzige Fläschchen!"
    Der Geist plusterte sich auf. "Was sagst du da? Ich bin der mächtigste Geist! Natürlich passe ich da rein! Soll ich es dir beweisen?"
    "Na, das möchte ich sehen!", sagte der Junge und grinste innerlich.
    Der eitle Geist zögerte nicht lange, wurde kleiner und kleiner und schwupps – war er wieder in der Flasche. Blitzschnell drückte der Junge den Korken wieder fest darauf.

    "Lass mich raus!", jammerte der Geist nun. "Bitte, bitte! Ich tue dir nichts, ich gebe dir sogar einen Schatz!"
    Der Junge überlegte. "Hmm, einen Schatz, sagst du? Was für einen Schatz?"
    "Einen ganz besonderen!", versprach der Geist. "Er wird dich reich machen!"

    Der Junge dachte: "Ein Versuch ist es wert." Er zog den Korken vorsichtig ein Stück heraus. Sofort gab ihm der Geist ein kleines, unscheinbares Läppchen.
    "Dieses Läppchen ist magisch", erklärte der Geist. "Mit der einen Seite kannst du jede Wunde heilen. Und wenn du mit der anderen Seite über Eisen streichst, wird es zu reinem Silber."

    "Das glaube ich nicht", sagte der Junge, aber er ließ den Geist frei. Der Geist zischte davon und war verschwunden.
    Der Junge nahm seine Axt, die eine kleine Scharte hatte. Er strich mit der einen Seite des Läppchens darüber – die Scharte war weg! Dann strich er mit der anderen Seite über das Eisen der Axt – und sie glänzte silbern!
    Der JunGunge verkaufte die silberne Axt für viel Geld. Davon konnte er endlich zur Schule gehen und Medizin studieren. Er wurde ein berühmter Arzt, heilte viele Kranke und half den Armen, und er vergaß nie den kleinen Geist in der Flasche, der ihm, wenn auch widerwillig, zu seinem Glück verholfen hatte.

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