• Jingwei füllt das Meer

    Chinesische Fabeln
    Stellt euch vor, es gab einmal ein kleines, fröhliches Mädchen. Ihr Name war Nüwa, und sie war die Tochter des mächtigen Kaisers Yan. Nüwa liebte es, am großen, blauen Ostmeer zu spielen. Sie lachte mit den Wellen und baute die schönsten Sandburgen.

    Eines Tages, als sie wieder am Meer war und fröhlich planschte, kam plötzlich ein starker Wind auf. Die Wellen wurden riesig und wild, viel größer als Nüwa. Eine besonders große Welle erwischte das kleine Mädchen und zog sie tief ins Wasser hinein. Das war ein sehr trauriger Moment, denn Nüwa konnte nicht mehr an Land schwimmen.

    Aber die Geschichte ist hier nicht zu Ende! Nüwas Geist wollte nicht einfach verschwinden. Er verwandelte sich in einen wunderschönen kleinen Vogel. Dieser Vogel hatte bunte Federn, einen roten Schnabel und weiße Krallen. Man nannte ihn Jingwei.

    Jingwei war sehr traurig und auch ein bisschen wütend auf das große Meer, das ihr das Leben genommen hatte. Sie dachte: "Dieses Meer ist zu groß und gefährlich! Ich werde es auffüllen, damit niemand mehr darin ertrinken muss!"

    Also flog Jingwei jeden Tag zu den Westbergen. Dort sammelte sie mit ihrem kleinen Schnabel winzige Zweiglein und kleine Steinchen. Dann flog sie den weiten Weg zurück zum Ostmeer und ließ die Zweiglein und Steinchen ins Wasser fallen. "Plitsch, platsch", machten die Steinchen, als sie im Meer versanken.

    Das große Meer lachte, als es den kleinen Vogel sah. "Haha, du winziger Vogel!", rauschten die Wellen. "Glaubst du wirklich, du kannst mich mit deinen paar Zweiglein und Steinchen auffüllen? Ich bin riesig und du bist so klein!"

    Aber Jingwei ließ sich nicht entmutigen. Sie rief mit ihrer kleinen Vogelstimme zurück: "Das macht nichts! Ich werde es trotzdem tun! Ich werde es tun, auch wenn es tausend Jahre dauert, oder zehntausend Jahre! Eines Tages wirst du voll sein!"

    Und so flog der kleine Vogel Jingwei jeden einzelnen Tag, unermüdlich, mit Zweiglein und Steinchen im Schnabel, von den Westbergen zum Ostmeer. Sie gab niemals auf, denn sie hatte sich fest vorgenommen, das große, weite Meer aufzufüllen.

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