Zeus und das Pferd
Äsopische Fabeln
Hoch oben auf dem Berg Olymp, wo die Götter wohnen, lebte Zeus, der mächtigste von allen. Eines Tages kam ein wunderschönes Pferd zu ihm getrabt. Seine Mähne glänzte wie Gold in der Sonne und es war sehr stolz auf seine Schnelligkeit und seine elegante Erscheinung.
"Oh, großer Zeus," wieherte das Pferd, "du hast mich stark und schnell gemacht, und dafür danke ich dir von Herzen! Aber ich frage mich manchmal, ob ich nicht noch ein kleines bisschen besser sein könnte. Vielleicht könntest du mir noch längere Beine geben, damit ich noch schneller über die Wiesen flitzen kann? Oder eine breitere Brust, damit ich noch stärker aussehe und alle anderen Tiere mich bewundern?"
Zeus, der Göttervater, lächelte weise. Er hatte schon viele Wünsche gehört. "Bist du dir da ganz sicher, mein liebes Pferd?", fragte er mit seiner tiefen Stimme. "Denkst du wirklich, das würde dich glücklicher machen?"
Das Pferd nickte eifrig mit dem Kopf. "Oh ja, ganz bestimmt! Dann wäre ich das allertollste Tier auf der ganzen Welt!"
"Nun gut," sagte Zeus. "Schau einmal genau hin." Und mit einer sanften Handbewegung ließ Zeus vor den Augen des Pferdes ein Bild entstehen. Es zeigte ein Tier, das ein bisschen wie ein Pferd aussah, aber auch ganz anders. Es hatte Beine, die so lang waren, dass es darüber stolperte. Seine Brust war so breit, dass es kaum durch enge Waldwege passte. Und um es noch besonderer zu machen, hatte Zeus ihm einen großen Höcker auf den Rücken gesetzt, wie bei einem Kamel, und einen sehr, sehr langen Hals.
Das Pferd starrte das seltsame Wesen mit großen Augen an. Es versuchte zu traben, aber es sah dabei sehr unbeholfen und komisch aus. "Was... was ist das denn für ein komisches Ding?", stotterte das Pferd erschrocken.
"Das," sagte Zeus mit einem kleinen Schmunzeln, "könnte ein Pferd sein, das all deine Wünsche erfüllt bekommen hat – und noch ein paar Extras, um es wirklich einzigartig zu machen."
Das Pferd schüttelte entsetzt den Kopf. Die goldenen Mähnenhaare flogen wild durcheinander. "Oh nein, nein! Das sieht ja gar nicht mehr schön aus! Und so schnell kann es bestimmt auch nicht mehr rennen. Ich glaube... ich glaube, ich bin doch eigentlich ganz wunderbar, so wie ich bin!"
Zeus lachte herzlich. "Siehst du, mein liebes Pferd? Manchmal ist das, was wir schon haben und wer wir sind, genau das Richtige und Beste für uns. Du bist ein prächtiges Pferd, genau so, wie du erschaffen wurdest."
Das Pferd wieherte fröhlich und erleichtert. Es verstand nun, dass es perfekt war, genau so, wie es war. Es bedankte sich höflich bei Zeus und galoppierte glücklich und zufrieden davon, stolz auf seine starken Beine, seine glänzende Mähne und seine wunderbare Schnelligkeit.
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