• Die Geschenke des kleinen Volkes

    Grimms Märchen
    Stellt euch vor, nicht allzu weit von einem großen, dunklen Wald entfernt, lebten einmal zwei Gesellen. Der eine war ein Schneider, flink mit Nadel und Faden, aber arm wie eine Kirchenmaus. Der andere war ein Goldschmied, der hatte zwar mehr Geld, aber sein Herz war oft ein bisschen knauserig.

    Eines schönen Abends, als die Sterne schon am Himmel funkelten, wanderten die beiden durch einen stillen Wald. Plötzlich hörten sie aus der Ferne fröhliche Musik und Gesang. "Was ist denn das?", fragte der Schneider neugierig. Sie schlichen sich näher und sahen auf einer kleinen Lichtung viele winzige Männlein und Weiblein, die Zwerge, wie sie um ein Feuer tanzten und lachten.

    Ein alter Zwerg mit einem langen, weißen Bart bemerkte die beiden und winkte sie freundlich herbei. "Kommt, liebe Leute, feiert mit uns!", rief er. Der Schneider, der immer für einen Spaß zu haben war, zögerte nicht lange. Er tanzte und sang mit den Zwergen, als hätte er nie etwas anderes getan. Der Goldschmied aber stand etwas abseits, musterte die Zwerge und dachte bei sich: "Was für ein seltsames Völkchen. Aber vielleicht springt ja etwas für mich dabei heraus."

    Als die Feier zu Ende ging und der Morgen graute, sagte der alte Zwerg: "Weil ihr so nett mit uns gefeiert habt, sollt ihr ein Geschenk bekommen. Nehmt euch von diesen Kohlen, so viel ihr tragen könnt."

    Der Schneider dachte: "Kohle? Was soll ich denn damit? Aber die Zwerge meinen es sicher gut." Er steckte sich nur ein paar kleine Stückchen in seine Hosentasche, um sie nicht zu beleidigen. Der Goldschmied aber dachte: "Diese Zwerge sind bestimmt Zauberer! Die Kohle ist sicher etwas ganz Besonderes!" Gierig stopfte er sich alle Taschen voll, bis sie fast platzten.

    Dann verabschiedeten sie sich und gingen ihres Weges. Als die Sonne aufging, griff der Schneider in seine Tasche, um die Kohle wegzuwerfen. Doch was war das? Die schwarzen Kohlenstücke hatten sich in pures, glänzendes Gold verwandelt! Jedes Stückchen war ein kleiner Schatz.

    Der Goldschmied sah das und griff schnell in seine eigenen Taschen. Aber seine Kohle war immer noch Kohle – schwarz, staubig und wertlos. Er hatte so viel genommen, aber es war einfach nur Kohle geblieben.

    Der Schneider aber war nun ein reicher Mann. Er lebte glücklich und zufrieden und vergaß nie, wie freundlich die Zwerge zu ihm gewesen waren. Der Goldschmied hingegen ärgerte sich sein Leben lang, dass seine Gier ihm nichts als schmutzige Hände eingebracht hatte. Und so lernt man, dass ein freundliches Herz und ein bisschen Bescheidenheit manchmal die größten Schätze sind.

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